Als Sphex dem Bibliothekar die Stube aufthat, war solche schon besetzt von einer Kiste (auch aus Italien angelangter) Vipern, von 3/4 Zentner Flachs, einem bleichen Reifrocke und von 3 durchbohrten Seidenschuhen der Dokto¬ rinn sammt einer Waise und einem Vorrathe von Kamillenkraut; das medizinische eheliche Paar hatte gedacht, das pädagogische niste bei¬ sammen. Aber Schoppe versetzte recht gut und fast mit einiger Ironie gegen den vornehmer¬ traktirten Augusti: "je kräftiger und geistrei¬ "cher und größer zwei Menschen sind, desto "weniger vertragen sie sich unter Einem Dek¬ "kenstück, wie große Insekten, die von Früch¬ "ten leben, ungesellig sind (z. B. in jeder Ha¬ "selnuß sitzt nur Ein Käfer), indeß die kleinen, "die nur von Blättern zehren, z. B. die "Blattläuse nesterweise beisammenkleben." -- Zesara hätte allerdings an seinem unersättlichen Herzen den Geliebten, den ihm das Geschick daran gelegt hätte, unaufhörlich in jeder Lage und Stunde wie einen Waffenbruder behalten wollen; aber Schoppe hat Recht. Freunde,
29. Zykel.
Als Sphex dem Bibliothekar die Stube aufthat, war ſolche ſchon beſetzt von einer Kiſte (auch aus Italien angelangter) Vipern, von ¾ Zentner Flachs, einem bleichen Reifrocke und von 3 durchbohrten Seidenſchuhen der Dokto¬ rinn ſammt einer Waiſe und einem Vorrathe von Kamillenkraut; das mediziniſche eheliche Paar hatte gedacht, das pädagogiſche niſte bei¬ ſammen. Aber Schoppe verſetzte recht gut und faſt mit einiger Ironie gegen den vornehmer¬ traktirten Auguſti: „je kräftiger und geiſtrei¬ „cher und größer zwei Menſchen ſind, deſto „weniger vertragen ſie ſich unter Einem Dek¬ „kenſtück, wie große Inſekten, die von Früch¬ „ten leben, ungeſellig ſind (z. B. in jeder Ha¬ „ſelnuß ſitzt nur Ein Käfer), indeß die kleinen, „die nur von Blättern zehren, z. B. die „Blattläuſe neſterweiſe beiſammenkleben.“ — Zeſara hätte allerdings an ſeinem unerſättlichen Herzen den Geliebten, den ihm das Geſchick daran gelegt hätte, unaufhörlich in jeder Lage und Stunde wie einen Waffenbruder behalten wollen; aber Schoppe hat Recht. Freunde,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0299"n="279"/></div><divn="2"><head>29. <hirendition="#g">Zykel.</hi><lb/></head><p>Als Sphex dem Bibliothekar die Stube<lb/>
aufthat, war ſolche ſchon beſetzt von einer Kiſte<lb/>
(auch aus Italien angelangter) Vipern, von<lb/>
¾ Zentner Flachs, einem bleichen Reifrocke und<lb/>
von 3 durchbohrten Seidenſchuhen der Dokto¬<lb/>
rinn ſammt einer Waiſe und einem Vorrathe<lb/>
von Kamillenkraut; das mediziniſche eheliche<lb/>
Paar hatte gedacht, das pädagogiſche niſte bei¬<lb/>ſammen. Aber Schoppe verſetzte recht gut und<lb/>
faſt mit einiger Ironie gegen den vornehmer¬<lb/>
traktirten Auguſti: „je kräftiger und geiſtrei¬<lb/>„cher und größer zwei Menſchen ſind, deſto<lb/>„weniger vertragen ſie ſich unter Einem Dek¬<lb/>„kenſtück, wie große Inſekten, die von <hirendition="#g">Früch¬</hi><lb/>„<hirendition="#g">ten</hi> leben, ungeſellig ſind (z. B. in jeder Ha¬<lb/>„ſelnuß ſitzt nur Ein Käfer), indeß die kleinen,<lb/>„die nur von <hirendition="#g">Blättern</hi> zehren, z. B. die<lb/>„Blattläuſe neſterweiſe beiſammenkleben.“—<lb/>
Zeſara hätte allerdings an ſeinem unerſättlichen<lb/>
Herzen den Geliebten, den ihm das Geſchick<lb/>
daran gelegt hätte, unaufhörlich in jeder Lage<lb/>
und Stunde wie einen Waffenbruder behalten<lb/>
wollen; aber Schoppe hat Recht. Freunde,<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[279/0299]
29. Zykel.
Als Sphex dem Bibliothekar die Stube
aufthat, war ſolche ſchon beſetzt von einer Kiſte
(auch aus Italien angelangter) Vipern, von
¾ Zentner Flachs, einem bleichen Reifrocke und
von 3 durchbohrten Seidenſchuhen der Dokto¬
rinn ſammt einer Waiſe und einem Vorrathe
von Kamillenkraut; das mediziniſche eheliche
Paar hatte gedacht, das pädagogiſche niſte bei¬
ſammen. Aber Schoppe verſetzte recht gut und
faſt mit einiger Ironie gegen den vornehmer¬
traktirten Auguſti: „je kräftiger und geiſtrei¬
„cher und größer zwei Menſchen ſind, deſto
„weniger vertragen ſie ſich unter Einem Dek¬
„kenſtück, wie große Inſekten, die von Früch¬
„ten leben, ungeſellig ſind (z. B. in jeder Ha¬
„ſelnuß ſitzt nur Ein Käfer), indeß die kleinen,
„die nur von Blättern zehren, z. B. die
„Blattläuſe neſterweiſe beiſammenkleben.“ —
Zeſara hätte allerdings an ſeinem unerſättlichen
Herzen den Geliebten, den ihm das Geſchick
daran gelegt hätte, unaufhörlich in jeder Lage
und Stunde wie einen Waffenbruder behalten
wollen; aber Schoppe hat Recht. Freunde,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800, S. 279. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800/299>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.