Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800.

Bild:
<< vorherige Seite
Dankgedicht.

So schau' ich wieder mit seeligen Augen
in deine blühende Welt, du Alliebender und
weine wieder, weil ich glücklich bin? Warum
hab' ich denn gezagt? Da ich unter der Erde
gieng in der Finsterniß wie eine Todte und
nur von fern die Geliebten und den Früh¬
ling über mir vernahm: warum war das
schwache Herz in Furcht, es gebe keine Oeff¬
nung mehr zum Leben und zum Lichte? --
Denn du warst in der Finsterniß bei mir und
führtest mich aus der Gruft in deinen Früh¬
ling herauf; und um mich standen deine fro¬
hen Kinder und der helle Himmel und alle
meine lächelnden Geliebten! -- -- O ich will
nun fester hoffen; brich immer der siechen
Pflanze üppige Blumen ab, damit die andern
voller reifen! Du führest ja deine Menschen
auf einem langen Berge in deinen Himmel
und zu dir und sie gehen durch die Gewitter
des Lebens am Berge nur verschattet, nicht
getroffen hindurch und nur unser Auge wird
naß. -- -- Aber, wenn ich zu dir komme,
wenn der Tod wieder seine dunkle Wolke auf

Dankgedicht.

So ſchau' ich wieder mit ſeeligen Augen
in deine blühende Welt, du Alliebender und
weine wieder, weil ich glücklich bin? Warum
hab' ich denn gezagt? Da ich unter der Erde
gieng in der Finſterniß wie eine Todte und
nur von fern die Geliebten und den Früh¬
ling über mir vernahm: warum war das
ſchwache Herz in Furcht, es gebe keine Oeff¬
nung mehr zum Leben und zum Lichte? —
Denn du warſt in der Finſterniß bei mir und
führteſt mich aus der Gruft in deinen Früh¬
ling herauf; und um mich ſtanden deine fro¬
hen Kinder und der helle Himmel und alle
meine lächelnden Geliebten! — — O ich will
nun feſter hoffen; brich immer der ſiechen
Pflanze üppige Blumen ab, damit die andern
voller reifen! Du führeſt ja deine Menſchen
auf einem langen Berge in deinen Himmel
und zu dir und ſie gehen durch die Gewitter
des Lebens am Berge nur verſchattet, nicht
getroffen hindurch und nur unſer Auge wird
naß. — — Aber, wenn ich zu dir komme,
wenn der Tod wieder ſeine dunkle Wolke auf

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0442" n="422"/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#g">Dankgedicht.</hi><lb/>
            </head>
            <p>So &#x017F;chau' ich wieder mit &#x017F;eeligen Augen<lb/>
in deine blühende Welt, du Alliebender und<lb/>
weine wieder, weil ich glücklich bin? Warum<lb/>
hab' ich denn gezagt? Da ich unter der Erde<lb/>
gieng in der Fin&#x017F;terniß wie eine Todte und<lb/>
nur von fern die Geliebten und den Früh¬<lb/>
ling über mir vernahm: warum war das<lb/>
&#x017F;chwache Herz in Furcht, es gebe keine Oeff¬<lb/>
nung mehr zum Leben und zum Lichte? &#x2014;<lb/>
Denn du war&#x017F;t in der Fin&#x017F;terniß bei mir und<lb/>
führte&#x017F;t mich aus der Gruft in deinen Früh¬<lb/>
ling herauf; und um mich &#x017F;tanden deine fro¬<lb/>
hen Kinder und der helle Himmel und alle<lb/>
meine lächelnden Geliebten! &#x2014; &#x2014; O ich will<lb/>
nun fe&#x017F;ter hoffen; brich immer der &#x017F;iechen<lb/>
Pflanze üppige Blumen ab, damit die andern<lb/>
voller reifen! Du führe&#x017F;t ja deine Men&#x017F;chen<lb/>
auf einem langen Berge in deinen Himmel<lb/>
und zu dir und &#x017F;ie gehen durch die Gewitter<lb/>
des Lebens am Berge nur ver&#x017F;chattet, nicht<lb/>
getroffen hindurch und nur un&#x017F;er Auge wird<lb/>
naß. &#x2014; &#x2014; Aber, wenn ich zu dir komme,<lb/>
wenn der Tod wieder &#x017F;eine dunkle Wolke auf<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[422/0442] Dankgedicht. So ſchau' ich wieder mit ſeeligen Augen in deine blühende Welt, du Alliebender und weine wieder, weil ich glücklich bin? Warum hab' ich denn gezagt? Da ich unter der Erde gieng in der Finſterniß wie eine Todte und nur von fern die Geliebten und den Früh¬ ling über mir vernahm: warum war das ſchwache Herz in Furcht, es gebe keine Oeff¬ nung mehr zum Leben und zum Lichte? — Denn du warſt in der Finſterniß bei mir und führteſt mich aus der Gruft in deinen Früh¬ ling herauf; und um mich ſtanden deine fro¬ hen Kinder und der helle Himmel und alle meine lächelnden Geliebten! — — O ich will nun feſter hoffen; brich immer der ſiechen Pflanze üppige Blumen ab, damit die andern voller reifen! Du führeſt ja deine Menſchen auf einem langen Berge in deinen Himmel und zu dir und ſie gehen durch die Gewitter des Lebens am Berge nur verſchattet, nicht getroffen hindurch und nur unſer Auge wird naß. — — Aber, wenn ich zu dir komme, wenn der Tod wieder ſeine dunkle Wolke auf

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800/442
Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800, S. 422. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800/442>, abgerufen am 22.11.2024.