Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800.

Bild:
<< vorherige Seite

Dieses Trauerfest, wo der dritte, aber
größte fürstliche Sarg sollte zur Ruhe bestat¬
tet werden, brach endlich an, und war schon
durch das Vorfest wichtig gemacht, wo man
die zwei ersten Särge sammt dem Greise beige¬
setzt, wie man etwa Tugenden schon im An¬
fange eines Jahrhunderts beerdigt und erst am
Ende desselben ihre leeren Namen, Gehäuse
und Franzbände. Am Probe- und Vorbilds¬
begräbnisse des Höchstseeligen war noch dazu
der alte fromme Vater, Spener, sein letzter
Freund mit in die Gruft hinabgegangen, um
sich das hölzerne und zinnerne Gehäuse des
ausgelaufenen Gehwerks öffnen zu lassen und
auf die stille Brust des lieben Schläfers noch
dessen Jugend-Portrait und sein eignes mit
der umgestürzten Farbenseite zu decken, ohne
zu reden und zu weinen; und der Hof machte
viel aus dieser Morgen- und Abendgabe der
Freundschaft.

Alles schwillt für den Menschen unge¬
heuer an, wovon sie lange reden müssen --
alle Pestizer Gesellschaften waren Sterbebei¬
tragsgesellschaften und voll Leichenmarschalle --

Dieſes Trauerfeſt, wo der dritte, aber
größte fürſtliche Sarg ſollte zur Ruhe beſtat¬
tet werden, brach endlich an, und war ſchon
durch das Vorfeſt wichtig gemacht, wo man
die zwei erſten Särge ſammt dem Greiſe beige¬
ſetzt, wie man etwa Tugenden ſchon im An¬
fange eines Jahrhunderts beerdigt und erſt am
Ende deſſelben ihre leeren Namen, Gehäuſe
und Franzbände. Am Probe- und Vorbilds¬
begräbniſſe des Höchſtſeeligen war noch dazu
der alte fromme Vater, Spener, ſein letzter
Freund mit in die Gruft hinabgegangen, um
ſich das hölzerne und zinnerne Gehäuſe des
ausgelaufenen Gehwerks öffnen zu laſſen und
auf die ſtille Bruſt des lieben Schläfers noch
deſſen Jugend-Portrait und ſein eignes mit
der umgeſtürzten Farbenſeite zu decken, ohne
zu reden und zu weinen; und der Hof machte
viel aus dieſer Morgen- und Abendgabe der
Freundſchaft.

Alles ſchwillt für den Menſchen unge¬
heuer an, wovon ſie lange reden müſſen —
alle Peſtizer Geſellſchaften waren Sterbebei¬
tragsgeſellſchaften und voll Leichenmarſchalle —

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0467" n="447"/>
          <p>Die&#x017F;es Trauerfe&#x017F;t, wo der dritte, aber<lb/>
größte für&#x017F;tliche Sarg &#x017F;ollte zur Ruhe be&#x017F;tat¬<lb/>
tet werden, brach endlich an, und war &#x017F;chon<lb/>
durch das Vorfe&#x017F;t wichtig gemacht, wo man<lb/>
die zwei er&#x017F;ten Särge &#x017F;ammt dem Grei&#x017F;e beige¬<lb/>
&#x017F;etzt, wie man etwa Tugenden &#x017F;chon im An¬<lb/>
fange eines Jahrhunderts beerdigt und er&#x017F;t am<lb/>
Ende de&#x017F;&#x017F;elben ihre leeren Namen, Gehäu&#x017F;e<lb/>
und Franzbände. Am Probe- und Vorbilds¬<lb/>
begräbni&#x017F;&#x017F;e des Höch&#x017F;t&#x017F;eeligen war noch dazu<lb/>
der alte fromme Vater, Spener, &#x017F;ein letzter<lb/>
Freund mit in die Gruft hinabgegangen, um<lb/>
&#x017F;ich das hölzerne und zinnerne Gehäu&#x017F;e des<lb/>
ausgelaufenen Gehwerks öffnen zu la&#x017F;&#x017F;en und<lb/>
auf die &#x017F;tille Bru&#x017F;t des lieben Schläfers noch<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en Jugend-Portrait und &#x017F;ein eignes mit<lb/>
der umge&#x017F;türzten Farben&#x017F;eite zu decken, ohne<lb/>
zu reden und zu weinen; und der Hof machte<lb/>
viel aus die&#x017F;er Morgen- und Abendgabe der<lb/>
Freund&#x017F;chaft.</p><lb/>
          <p>Alles &#x017F;chwillt für den Men&#x017F;chen unge¬<lb/>
heuer an, wovon &#x017F;ie lange reden mü&#x017F;&#x017F;en &#x2014;<lb/>
alle Pe&#x017F;tizer Ge&#x017F;ell&#x017F;chaften waren Sterbebei¬<lb/>
tragsge&#x017F;ell&#x017F;chaften und voll Leichenmar&#x017F;challe &#x2014;<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[447/0467] Dieſes Trauerfeſt, wo der dritte, aber größte fürſtliche Sarg ſollte zur Ruhe beſtat¬ tet werden, brach endlich an, und war ſchon durch das Vorfeſt wichtig gemacht, wo man die zwei erſten Särge ſammt dem Greiſe beige¬ ſetzt, wie man etwa Tugenden ſchon im An¬ fange eines Jahrhunderts beerdigt und erſt am Ende deſſelben ihre leeren Namen, Gehäuſe und Franzbände. Am Probe- und Vorbilds¬ begräbniſſe des Höchſtſeeligen war noch dazu der alte fromme Vater, Spener, ſein letzter Freund mit in die Gruft hinabgegangen, um ſich das hölzerne und zinnerne Gehäuſe des ausgelaufenen Gehwerks öffnen zu laſſen und auf die ſtille Bruſt des lieben Schläfers noch deſſen Jugend-Portrait und ſein eignes mit der umgeſtürzten Farbenſeite zu decken, ohne zu reden und zu weinen; und der Hof machte viel aus dieſer Morgen- und Abendgabe der Freundſchaft. Alles ſchwillt für den Menſchen unge¬ heuer an, wovon ſie lange reden müſſen — alle Peſtizer Geſellſchaften waren Sterbebei¬ tragsgeſellſchaften und voll Leichenmarſchalle —

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800/467
Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800, S. 447. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800/467>, abgerufen am 22.11.2024.