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Jean Paul: Titan. Bd. 2. Berlin, 1801.

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zu welchem gleichsam aus seiner höhern Welt
in seinen Schmerzen wie goldne Sonnenstralen
leise Töne reichen, die verhüllt durch die rauhe
Tiefe gehen.

Aber Liane, wie um sein Feuer abzuwen¬
den, kam auf ihre Freundinn Karoline und
sagte: wie sie ihr an solchen Tagen und zumal
auf diesem Spaziergange immer vorschwebe.
"Anfangs sucht' ich sie auf, (sagte Liane,) weil
"sie meiner Linda glich. Sie war meine Leh¬
"rerin, ob sie gleich nur einige Wochen älter
"war als ich. Ihr frommer, strenger, uner¬
"schrockner Karakter und ihre Willigkeit, sich
"freudig und stumm aufzuopfern, machte sie
"sogar, wenn ich es so sagen darf, in den Au¬
"gen ihrer Mutter verehrungswürdig. Man
"sah sie niemals weinen, so weich sie auch war,
"blos um ihre Mutter immer heiter zu machen.
"Wir wollten miteinander den Schleier neh¬
"men, um beisammen zu bleiben; ich würde
"nicht alt werden, sagte sie, und ich müßte mein
"kurzes Leben froh und ohne Sorgen, aber auch
"in Zubereitung auf das andere verbringen.
"Ach sie gieng selber voran! Die Nachtwachen

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zu welchem gleichſam aus ſeiner höhern Welt
in ſeinen Schmerzen wie goldne Sonnenſtralen
leiſe Töne reichen, die verhüllt durch die rauhe
Tiefe gehen.

Aber Liane, wie um ſein Feuer abzuwen¬
den, kam auf ihre Freundinn Karoline und
ſagte: wie ſie ihr an ſolchen Tagen und zumal
auf dieſem Spaziergange immer vorſchwebe.
„Anfangs ſucht' ich ſie auf, (ſagte Liane,) weil
„ſie meiner Linda glich. Sie war meine Leh¬
„rerin, ob ſie gleich nur einige Wochen älter
„war als ich. Ihr frommer, ſtrenger, uner¬
„ſchrockner Karakter und ihre Willigkeit, ſich
„freudig und ſtumm aufzuopfern, machte ſie
„ſogar, wenn ich es ſo ſagen darf, in den Au¬
„gen ihrer Mutter verehrungswürdig. Man
„ſah ſie niemals weinen, ſo weich ſie auch war,
„blos um ihre Mutter immer heiter zu machen.
„Wir wollten miteinander den Schleier neh¬
„men, um beiſammen zu bleiben; ich würde
„nicht alt werden, ſagte ſie, und ich müßte mein
„kurzes Leben froh und ohne Sorgen, aber auch
„in Zubereitung auf das andere verbringen.
„Ach ſie gieng ſelber voran! Die Nachtwachen

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[179/0187] zu welchem gleichſam aus ſeiner höhern Welt in ſeinen Schmerzen wie goldne Sonnenſtralen leiſe Töne reichen, die verhüllt durch die rauhe Tiefe gehen. Aber Liane, wie um ſein Feuer abzuwen¬ den, kam auf ihre Freundinn Karoline und ſagte: wie ſie ihr an ſolchen Tagen und zumal auf dieſem Spaziergange immer vorſchwebe. „Anfangs ſucht' ich ſie auf, (ſagte Liane,) weil „ſie meiner Linda glich. Sie war meine Leh¬ „rerin, ob ſie gleich nur einige Wochen älter „war als ich. Ihr frommer, ſtrenger, uner¬ „ſchrockner Karakter und ihre Willigkeit, ſich „freudig und ſtumm aufzuopfern, machte ſie „ſogar, wenn ich es ſo ſagen darf, in den Au¬ „gen ihrer Mutter verehrungswürdig. Man „ſah ſie niemals weinen, ſo weich ſie auch war, „blos um ihre Mutter immer heiter zu machen. „Wir wollten miteinander den Schleier neh¬ „men, um beiſammen zu bleiben; ich würde „nicht alt werden, ſagte ſie, und ich müßte mein „kurzes Leben froh und ohne Sorgen, aber auch „in Zubereitung auf das andere verbringen. „Ach ſie gieng ſelber voran! Die Nachtwachen M 2

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 2. Berlin, 1801, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan02_1801/187>, abgerufen am 23.11.2024.