Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Titan. Bd. 2. Berlin, 1801.

Bild:
<< vorherige Seite

"ten Flügeln und wühlt, drängt und tobt und
"überall rinnt Blut an der zerritzten Brusthöh¬
"le. -- Auf einmal legt es sich blutig wieder hin
"und lächelt wieder fort mit dem schönen Ma¬
"donnenangesicht. O er sah ganz blutlos aus,
"der Elende, weil das Thier so von ihm zehrte
"und durstig an seinem Herzen leckte."

"Gräulich! (sagte Albano) "und doch ver¬
"steh' ich Dich nicht ganz." -- -- Der Mond
hob jetzt sich und eine finster an seinen Seiten
gelagerte Wolken - Heerde empor und zog ei¬
nen Sturmwind nach, der sie unter die Sterne
jagte. Karl fuhr wilder fort: "Anfangs hatt'
"es der Elende noch gut, er hatte noch derbe
"Schmerzen und Freuden, rechte Sünden und
"Tugenden; aber als das Unthier immer schnel¬
"ler lächelte und zerriß und er immer schneller
"Lust und Pein, Gutes und Böses wechselte;
"und als Gotteslästerungen und Rothbilder in
"seine Gebete krochen und er sich weder bekeh¬
"ren noch verstocken konnte: da lag er in öder
"Verblutung in der lauen, grauen, trocknen
"Nebel-Masse des Lebens da und starb so
"durch das Leben fort. -- "

„ten Flügeln und wühlt, drängt und tobt und
„überall rinnt Blut an der zerritzten Bruſthöh¬
„le. — Auf einmal legt es ſich blutig wieder hin
„und lächelt wieder fort mit dem ſchönen Ma¬
„donnenangeſicht. O er ſah ganz blutlos aus,
„der Elende, weil das Thier ſo von ihm zehrte
„und durſtig an ſeinem Herzen leckte.“

„Gräulich! (ſagte Albano) „und doch ver¬
„ſteh' ich Dich nicht ganz.“ — — Der Mond
hob jetzt ſich und eine finſter an ſeinen Seiten
gelagerte Wolken - Heerde empor und zog ei¬
nen Sturmwind nach, der ſie unter die Sterne
jagte. Karl fuhr wilder fort: „Anfangs hatt'
„es der Elende noch gut, er hatte noch derbe
„Schmerzen und Freuden, rechte Sünden und
„Tugenden; aber als das Unthier immer ſchnel¬
„ler lächelte und zerriß und er immer ſchneller
„Luſt und Pein, Gutes und Böſes wechſelte;
„und als Gottesläſterungen und Rothbilder in
„ſeine Gebete krochen und er ſich weder bekeh¬
„ren noch verſtocken konnte: da lag er in öder
„Verblutung in der lauen, grauen, trocknen
„Nebel-Maſſe des Lebens da und ſtarb ſo
„durch das Leben fort. — “

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0039" n="31"/>
&#x201E;ten Flügeln und wühlt, drängt und tobt und<lb/>
&#x201E;überall rinnt Blut an der zerritzten Bru&#x017F;thöh¬<lb/>
&#x201E;le. &#x2014; Auf einmal legt es &#x017F;ich blutig wieder hin<lb/>
&#x201E;und lächelt wieder fort mit dem &#x017F;chönen Ma¬<lb/>
&#x201E;donnenange&#x017F;icht. O er &#x017F;ah ganz blutlos aus,<lb/>
&#x201E;der Elende, weil das Thier &#x017F;o von ihm zehrte<lb/>
&#x201E;und dur&#x017F;tig an &#x017F;einem Herzen leckte.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Gräulich! (&#x017F;agte Albano) &#x201E;und doch ver¬<lb/>
&#x201E;&#x017F;teh' ich Dich nicht ganz.&#x201C; &#x2014; &#x2014; Der Mond<lb/>
hob jetzt &#x017F;ich und eine fin&#x017F;ter an &#x017F;einen Seiten<lb/>
gelagerte Wolken - Heerde empor und zog ei¬<lb/>
nen Sturmwind nach, der &#x017F;ie unter die Sterne<lb/>
jagte. Karl fuhr wilder fort: &#x201E;Anfangs hatt'<lb/>
&#x201E;es der Elende noch gut, er hatte noch derbe<lb/>
&#x201E;Schmerzen und Freuden, rechte Sünden und<lb/>
&#x201E;Tugenden; aber als das Unthier immer &#x017F;chnel¬<lb/>
&#x201E;ler lächelte und zerriß und er immer &#x017F;chneller<lb/>
&#x201E;Lu&#x017F;t und Pein, Gutes und Bö&#x017F;es wech&#x017F;elte;<lb/>
&#x201E;und als Gotteslä&#x017F;terungen und Rothbilder in<lb/>
&#x201E;&#x017F;eine Gebete krochen und er &#x017F;ich weder bekeh¬<lb/>
&#x201E;ren noch ver&#x017F;tocken konnte: da lag er in öder<lb/>
&#x201E;Verblutung in der lauen, grauen, trocknen<lb/>
&#x201E;Nebel-Ma&#x017F;&#x017F;e des Lebens da und &#x017F;tarb &#x017F;o<lb/>
&#x201E;durch das Leben fort. &#x2014; &#x201C;<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[31/0039] „ten Flügeln und wühlt, drängt und tobt und „überall rinnt Blut an der zerritzten Bruſthöh¬ „le. — Auf einmal legt es ſich blutig wieder hin „und lächelt wieder fort mit dem ſchönen Ma¬ „donnenangeſicht. O er ſah ganz blutlos aus, „der Elende, weil das Thier ſo von ihm zehrte „und durſtig an ſeinem Herzen leckte.“ „Gräulich! (ſagte Albano) „und doch ver¬ „ſteh' ich Dich nicht ganz.“ — — Der Mond hob jetzt ſich und eine finſter an ſeinen Seiten gelagerte Wolken - Heerde empor und zog ei¬ nen Sturmwind nach, der ſie unter die Sterne jagte. Karl fuhr wilder fort: „Anfangs hatt' „es der Elende noch gut, er hatte noch derbe „Schmerzen und Freuden, rechte Sünden und „Tugenden; aber als das Unthier immer ſchnel¬ „ler lächelte und zerriß und er immer ſchneller „Luſt und Pein, Gutes und Böſes wechſelte; „und als Gottesläſterungen und Rothbilder in „ſeine Gebete krochen und er ſich weder bekeh¬ „ren noch verſtocken konnte: da lag er in öder „Verblutung in der lauen, grauen, trocknen „Nebel-Maſſe des Lebens da und ſtarb ſo „durch das Leben fort. — “

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan02_1801
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan02_1801/39
Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 2. Berlin, 1801, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan02_1801/39>, abgerufen am 03.12.2024.