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Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802.

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an Bode und Zach. Aber funkelnd blickte das
alte Auge unter den sparsamen Augenbraunen
in den Himmel und poetisch erhob sich ihm
Herz und Zunge, wenn er von der höchsten irr¬
dischen Stelle, dem lichten Himmel über der
schwarzen, tiefen Erde, sprach -- von dem un¬
übersehlichen Welt-Meer ohne Ufer, worein der
Geist, der vergeblich überfliegen will, ermüdet
sinke und dessen Ebbe und Fluth nur der Un¬
endliche sehe unten an seinem Throne -- und
von der Hoffnung auf den Sternenhimmel nach
dem Tode, den dann keine Erdscheibe wie jetzt
durchschneide sondern der sich um sich selber oh¬
ne Anfang und Ende wölbe.

Wenn Sokrates den stolzen Alzibiades durch
die Erdkarte verkleinerte: so muß, wenn die
Himmelskarte diese selber vernichtet, unser Stolz
und Schmerz auf ihr noch mehr erröthen. Al¬
bano schämte sich, an sich zu denken, wenn er
aufsah in die ungeheuere aufsteigende Nacht
über ihm, worin Tage und Morgenröthen ste¬
hen und ziehen. -- Er erhob sich und seinen
Lehrer, wenn er davon sprach, wie jetzt droben
in der Unermeßlichkeit Frühlinge und Paradie¬

an Bode und Zach. Aber funkelnd blickte das
alte Auge unter den ſparſamen Augenbraunen
in den Himmel und poetiſch erhob ſich ihm
Herz und Zunge, wenn er von der höchſten irr¬
diſchen Stelle, dem lichten Himmel über der
ſchwarzen, tiefen Erde, ſprach — von dem un¬
überſehlichen Welt-Meer ohne Ufer, worein der
Geiſt, der vergeblich überfliegen will, ermüdet
ſinke und deſſen Ebbe und Fluth nur der Un¬
endliche ſehe unten an ſeinem Throne — und
von der Hoffnung auf den Sternenhimmel nach
dem Tode, den dann keine Erdſcheibe wie jetzt
durchſchneide ſondern der ſich um ſich ſelber oh¬
ne Anfang und Ende wölbe.

Wenn Sokrates den ſtolzen Alzibiades durch
die Erdkarte verkleinerte: ſo muß, wenn die
Himmelskarte dieſe ſelber vernichtet, unſer Stolz
und Schmerz auf ihr noch mehr erröthen. Al¬
bano ſchämte ſich, an ſich zu denken, wenn er
aufſah in die ungeheuere aufſteigende Nacht
über ihm, worin Tage und Morgenröthen ſte¬
hen und ziehen. — Er erhob ſich und ſeinen
Lehrer, wenn er davon ſprach, wie jetzt droben
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[188/0200] an Bode und Zach. Aber funkelnd blickte das alte Auge unter den ſparſamen Augenbraunen in den Himmel und poetiſch erhob ſich ihm Herz und Zunge, wenn er von der höchſten irr¬ diſchen Stelle, dem lichten Himmel über der ſchwarzen, tiefen Erde, ſprach — von dem un¬ überſehlichen Welt-Meer ohne Ufer, worein der Geiſt, der vergeblich überfliegen will, ermüdet ſinke und deſſen Ebbe und Fluth nur der Un¬ endliche ſehe unten an ſeinem Throne — und von der Hoffnung auf den Sternenhimmel nach dem Tode, den dann keine Erdſcheibe wie jetzt durchſchneide ſondern der ſich um ſich ſelber oh¬ ne Anfang und Ende wölbe. Wenn Sokrates den ſtolzen Alzibiades durch die Erdkarte verkleinerte: ſo muß, wenn die Himmelskarte dieſe ſelber vernichtet, unſer Stolz und Schmerz auf ihr noch mehr erröthen. Al¬ bano ſchämte ſich, an ſich zu denken, wenn er aufſah in die ungeheuere aufſteigende Nacht über ihm, worin Tage und Morgenröthen ſte¬ hen und ziehen. — Er erhob ſich und ſeinen Lehrer, wenn er davon ſprach, wie jetzt droben in der Unermeßlichkeit Frühlinge und Paradie¬

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/200>, abgerufen am 24.11.2024.