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Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802.

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der alten Tage die geleuchtet hatten wieder in
die Wohnung des Greises zurück, der sie mit
größerer Ehrerbietung entließ als er sie aufge¬
nommen. Auf dem Nachtweg war sie stumm
und in sich gesenkt gegen ihr Mädchen. Die
Eltern erwarteten sie noch, die Mutter blickte
bang' in die Nacht und in die Zukunft. End¬
lich rollte der lebendige Wagen in den Hof.
Groß und mächtig wie eine unschuldig Hinge¬
richtete wieder vor dem Zergliederer auflebt und,
ihn für den höhern Richter achtend, entfesselt
und freudig spricht, so trat sie vor die Eltern;
wie der kalte Marmor einer Göttergestalt, stand
sie bleich, thränenlos, kalt und ruhig da. Sie
wußte und wollt' es nicht, aber sie gieng hoch
über das Leben, sogar über die kindliche Liebe
-- sie konnte die Mutter nicht so inbrünstig
küssen wie sonst -- sie stellte sich unerschrocken
vor den polternden Vater und sagte dann oh¬
ne Thräne, ohne Bewegung, ohne Röthe und
mit sanfter Stimme: "Ich habe heute vor Gott
"meiner Liebe entsagt. Der fromme Vater hat
"mich überzeugt." -- "Und hatte der Mann
bessere Gründe dazu in petto als ich?" sagte

der alten Tage die geleuchtet hatten wieder in
die Wohnung des Greiſes zurück, der ſie mit
größerer Ehrerbietung entließ als er ſie aufge¬
nommen. Auf dem Nachtweg war ſie ſtumm
und in ſich geſenkt gegen ihr Mädchen. Die
Eltern erwarteten ſie noch, die Mutter blickte
bang' in die Nacht und in die Zukunft. End¬
lich rollte der lebendige Wagen in den Hof.
Groß und mächtig wie eine unſchuldig Hinge¬
richtete wieder vor dem Zergliederer auflebt und,
ihn für den höhern Richter achtend, entfeſſelt
und freudig ſpricht, ſo trat ſie vor die Eltern;
wie der kalte Marmor einer Göttergeſtalt, ſtand
ſie bleich, thränenlos, kalt und ruhig da. Sie
wußte und wollt' es nicht, aber ſie gieng hoch
über das Leben, ſogar über die kindliche Liebe
— ſie konnte die Mutter nicht ſo inbrünſtig
küſſen wie ſonſt — ſie ſtellte ſich unerſchrocken
vor den polternden Vater und ſagte dann oh¬
ne Thräne, ohne Bewegung, ohne Röthe und
mit ſanfter Stimme: „Ich habe heute vor Gott
„meiner Liebe entſagt. Der fromme Vater hat
„mich überzeugt.“ — „Und hatte der Mann
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[201/0213] der alten Tage die geleuchtet hatten wieder in die Wohnung des Greiſes zurück, der ſie mit größerer Ehrerbietung entließ als er ſie aufge¬ nommen. Auf dem Nachtweg war ſie ſtumm und in ſich geſenkt gegen ihr Mädchen. Die Eltern erwarteten ſie noch, die Mutter blickte bang' in die Nacht und in die Zukunft. End¬ lich rollte der lebendige Wagen in den Hof. Groß und mächtig wie eine unſchuldig Hinge¬ richtete wieder vor dem Zergliederer auflebt und, ihn für den höhern Richter achtend, entfeſſelt und freudig ſpricht, ſo trat ſie vor die Eltern; wie der kalte Marmor einer Göttergeſtalt, ſtand ſie bleich, thränenlos, kalt und ruhig da. Sie wußte und wollt' es nicht, aber ſie gieng hoch über das Leben, ſogar über die kindliche Liebe — ſie konnte die Mutter nicht ſo inbrünſtig küſſen wie ſonſt — ſie ſtellte ſich unerſchrocken vor den polternden Vater und ſagte dann oh¬ ne Thräne, ohne Bewegung, ohne Röthe und mit ſanfter Stimme: „Ich habe heute vor Gott „meiner Liebe entſagt. Der fromme Vater hat „mich überzeugt.“ — „Und hatte der Mann beſſere Gründe dazu in petto als ich?“ ſagte

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/213>, abgerufen am 27.11.2024.