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Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802.

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liche Seelen, die sich nur in den Blüthen des
Weingartens der Freude berauschen, wie ande¬
re erst in den Beeren des Weinbergs. Des Lek¬
tors Billet kam an mit der Nachricht, daß Al¬
bano sie in Lilar erwarte.

Jetzt da die Stunde der Zusammenkunft
so dicht anrückte, wurd' ihr immer banger; "wenn
"ich ihn nur überreden kann, (sagte sie,) daß ich
"als ein rechtschaffenes Mädchen gehandelt ha¬
"be." Ehe sie ihr Morgenzimmer gegen den
Trauerwagen vertauschte, legte sie darin Alles
zum Zeichnen zurecht, wenn sie wiederkäme; sie
habe, sagte sie, einen sehr bösen Traum gehabt,
aber sie hoffe, er treffe nicht ein.

Sie stieg mit ihrem Arbeitskörbchen worin
die Briefe lagen, am Arme, in den Wagen, den
man aufmachen mußte, weil seine schwüle Luft
sie drückte. Aber die Schwüle athmete ihr Geist,
und alles Schöne, was ihr begegnete, würd'
ihr heute zur betäubenden Giftblume. Sie fa߬
te und drückte furchtsam immer die Hand der
Mutter, weil sie jeder Schrei, jede schnell vor¬
überlaufende Gestalt, wie ein Sturmvogel rau¬
schend überflatterte; ein Ausrufer schnitt mit

liche Seelen, die ſich nur in den Blüthen des
Weingartens der Freude berauſchen, wie ande¬
re erſt in den Beeren des Weinbergs. Des Lek¬
tors Billet kam an mit der Nachricht, daß Al¬
bano ſie in Lilar erwarte.

Jetzt da die Stunde der Zuſammenkunft
ſo dicht anrückte, wurd' ihr immer banger; „wenn
„ich ihn nur überreden kann, (ſagte ſie,) daß ich
„als ein rechtſchaffenes Mädchen gehandelt ha¬
„be.“ Ehe ſie ihr Morgenzimmer gegen den
Trauerwagen vertauſchte, legte ſie darin Alles
zum Zeichnen zurecht, wenn ſie wiederkäme; ſie
habe, ſagte ſie, einen ſehr böſen Traum gehabt,
aber ſie hoffe, er treffe nicht ein.

Sie ſtieg mit ihrem Arbeitskörbchen worin
die Briefe lagen, am Arme, in den Wagen, den
man aufmachen mußte, weil ſeine ſchwüle Luft
ſie drückte. Aber die Schwüle athmete ihr Geiſt,
und alles Schöne, was ihr begegnete, würd'
ihr heute zur betäubenden Giftblume. Sie fa߬
te und drückte furchtſam immer die Hand der
Mutter, weil ſie jeder Schrei, jede ſchnell vor¬
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[206/0218] liche Seelen, die ſich nur in den Blüthen des Weingartens der Freude berauſchen, wie ande¬ re erſt in den Beeren des Weinbergs. Des Lek¬ tors Billet kam an mit der Nachricht, daß Al¬ bano ſie in Lilar erwarte. Jetzt da die Stunde der Zuſammenkunft ſo dicht anrückte, wurd' ihr immer banger; „wenn „ich ihn nur überreden kann, (ſagte ſie,) daß ich „als ein rechtſchaffenes Mädchen gehandelt ha¬ „be.“ Ehe ſie ihr Morgenzimmer gegen den Trauerwagen vertauſchte, legte ſie darin Alles zum Zeichnen zurecht, wenn ſie wiederkäme; ſie habe, ſagte ſie, einen ſehr böſen Traum gehabt, aber ſie hoffe, er treffe nicht ein. Sie ſtieg mit ihrem Arbeitskörbchen worin die Briefe lagen, am Arme, in den Wagen, den man aufmachen mußte, weil ſeine ſchwüle Luft ſie drückte. Aber die Schwüle athmete ihr Geiſt, und alles Schöne, was ihr begegnete, würd' ihr heute zur betäubenden Giftblume. Sie fa߬ te und drückte furchtſam immer die Hand der Mutter, weil ſie jeder Schrei, jede ſchnell vor¬ überlaufende Geſtalt, wie ein Sturmvogel rau¬ ſchend überflatterte; ein Ausrufer ſchnitt mit

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/218>, abgerufen am 23.11.2024.