seinem rohen Ton in ihre Nerven; sie bebten nur erst sanfter wieder, da ein Geistlicher und sein Diener mit dem Krankenkelch für den Abendtrank der müden Menschen vorübergien¬ gen. O, der schöne Weg wurd' ihr lang! Sie mußte das zerfallende Herz, das recht fest und bestimmt mit dem Geliebten reden sollte, so lan¬ ge mit ermattenden Kräften zusammenhalten.
Der Himmel war blau und doch merkten beide es nicht, daß es ohne Wolken anfange dunkel zu werden, da der Mond schon mit sei¬ ner Nacht an der Sonne stand. Als sie über die Waldbrücke in das lebendige Lilar fuhren, wo an allen Zweigen die alten Brautkleider einer geschmückten Vergangenheit hiengen: sag¬ te Liane mit Heftigkeit zur Mutter: "Um Got¬ "tes Willen nicht ins alte Todten-Schloß!" *) "Wohin denn aber? Er ist dahin bestellt." sagte die Mutter. -- "Überall hin -- in den Traum¬ tempel -- Er sieht uns schon, dort geht er auf den Thoren," sagte sie. "Gott, der Allmächtige sey mit Dir, und sprich nicht lange" sagte die
*) Wo der Fürst gestorben und sie erblindet war.
ſeinem rohen Ton in ihre Nerven; ſie bebten nur erſt ſanfter wieder, da ein Geiſtlicher und ſein Diener mit dem Krankenkelch für den Abendtrank der müden Menſchen vorübergien¬ gen. O, der ſchöne Weg wurd' ihr lang! Sie mußte das zerfallende Herz, das recht feſt und beſtimmt mit dem Geliebten reden ſollte, ſo lan¬ ge mit ermattenden Kräften zuſammenhalten.
Der Himmel war blau und doch merkten beide es nicht, daß es ohne Wolken anfange dunkel zu werden, da der Mond ſchon mit ſei¬ ner Nacht an der Sonne ſtand. Als ſie über die Waldbrücke in das lebendige Lilar fuhren, wo an allen Zweigen die alten Brautkleider einer geſchmückten Vergangenheit hiengen: ſag¬ te Liane mit Heftigkeit zur Mutter: „Um Got¬ „tes Willen nicht ins alte Todten-Schloß!“ *) „Wohin denn aber? Er iſt dahin beſtellt.“ ſagte die Mutter. — „Überall hin — in den Traum¬ tempel — Er ſieht uns ſchon, dort geht er auf den Thoren,“ ſagte ſie. „Gott, der Allmächtige ſey mit Dir, und ſprich nicht lange“ ſagte die
*) Wo der Fürſt geſtorben und ſie erblindet war.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0219"n="207"/>ſeinem rohen Ton in ihre Nerven; ſie bebten<lb/>
nur erſt ſanfter wieder, da ein Geiſtlicher und<lb/>ſein Diener mit dem Krankenkelch für den<lb/>
Abendtrank der müden Menſchen vorübergien¬<lb/>
gen. O, der ſchöne Weg wurd' ihr lang! Sie<lb/>
mußte das zerfallende Herz, das recht feſt und<lb/>
beſtimmt mit dem Geliebten reden ſollte, ſo lan¬<lb/>
ge mit ermattenden Kräften zuſammenhalten.</p><lb/><p>Der Himmel war blau und doch merkten<lb/>
beide es nicht, daß es ohne Wolken anfange<lb/>
dunkel zu werden, da der Mond ſchon mit ſei¬<lb/>
ner Nacht an der Sonne ſtand. Als ſie über<lb/>
die Waldbrücke in das lebendige Lilar fuhren,<lb/>
wo an allen Zweigen die alten Brautkleider<lb/>
einer geſchmückten Vergangenheit hiengen: ſag¬<lb/>
te Liane mit Heftigkeit zur Mutter: „Um Got¬<lb/>„tes Willen nicht ins alte Todten-Schloß!“<noteplace="foot"n="*)">Wo der Fürſt geſtorben und ſie erblindet war.<lb/></note><lb/>„Wohin denn aber? Er iſt dahin beſtellt.“<lb/>ſagte die Mutter. —„Überall hin — in den Traum¬<lb/>
tempel — Er ſieht uns ſchon, dort geht er auf<lb/>
den Thoren,“ſagte ſie. „Gott, der Allmächtige<lb/>ſey mit Dir, und ſprich nicht lange“ſagte die<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[207/0219]
ſeinem rohen Ton in ihre Nerven; ſie bebten
nur erſt ſanfter wieder, da ein Geiſtlicher und
ſein Diener mit dem Krankenkelch für den
Abendtrank der müden Menſchen vorübergien¬
gen. O, der ſchöne Weg wurd' ihr lang! Sie
mußte das zerfallende Herz, das recht feſt und
beſtimmt mit dem Geliebten reden ſollte, ſo lan¬
ge mit ermattenden Kräften zuſammenhalten.
Der Himmel war blau und doch merkten
beide es nicht, daß es ohne Wolken anfange
dunkel zu werden, da der Mond ſchon mit ſei¬
ner Nacht an der Sonne ſtand. Als ſie über
die Waldbrücke in das lebendige Lilar fuhren,
wo an allen Zweigen die alten Brautkleider
einer geſchmückten Vergangenheit hiengen: ſag¬
te Liane mit Heftigkeit zur Mutter: „Um Got¬
„tes Willen nicht ins alte Todten-Schloß!“ *)
„Wohin denn aber? Er iſt dahin beſtellt.“
ſagte die Mutter. — „Überall hin — in den Traum¬
tempel — Er ſieht uns ſchon, dort geht er auf
den Thoren,“ ſagte ſie. „Gott, der Allmächtige
ſey mit Dir, und ſprich nicht lange“ ſagte die
*) Wo der Fürſt geſtorben und ſie erblindet war.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/219>, abgerufen am 21.06.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.