weinende Mutter, als sie von ihr in den Tem¬ pel gieng, in dessen Spiegeln sie der Trennung der unschuldigen Menschen zuschauen konnte.
Albano kam langsam oben in den Gängen daher, er hatte sein Auge von Thränen rein gemacht und sein Herz von Stürmen. O, wie hatt' er bisher wie ein lang umhergetriebner Seefahrer in seine dunklen Wolken hineingese¬ hen um zwischen ihren Nebelspitzen die Berg¬ spitze eines festen grünen Landes auszufinden! -- daß er heute so viel, nämlich Alles verlieren sollte, so weit waren seine traurigsten Schlüsse nicht gegangen; ja er bewahrte so viel Ruhe, daß er oben den kleinen nachtanzenden Pollux nicht bedrohend sondern beschenkend zurück¬ schaffte.
Endlich stand er mit zuckenden Lippen vor der geliebten schönen Gestalt, die kindlich, bleich, zitternd und das Arbeitskörbchen bewachend ihn ein wenig anblickte und dann mit ihren nie¬ derfallenden Augen kämpfte. Da schmolz sein Herz; die Fluth der alten Liebe rauschte hoch in sein Leben zurück. "Liane, (sagt' er im sanfte¬ sten Ton und seine Augen tropften,) bist Du noch
meine
weinende Mutter, als ſie von ihr in den Tem¬ pel gieng, in deſſen Spiegeln ſie der Trennung der unſchuldigen Menſchen zuſchauen konnte.
Albano kam langſam oben in den Gängen daher, er hatte ſein Auge von Thränen rein gemacht und ſein Herz von Stürmen. O, wie hatt' er bisher wie ein lang umhergetriebner Seefahrer in ſeine dunklen Wolken hineingeſe¬ hen um zwiſchen ihren Nebelſpitzen die Berg¬ ſpitze eines feſten grünen Landes auszufinden! — daß er heute ſo viel, nämlich Alles verlieren ſollte, ſo weit waren ſeine traurigſten Schlüſſe nicht gegangen; ja er bewahrte ſo viel Ruhe, daß er oben den kleinen nachtanzenden Pollux nicht bedrohend ſondern beſchenkend zurück¬ ſchaffte.
Endlich ſtand er mit zuckenden Lippen vor der geliebten ſchönen Geſtalt, die kindlich, bleich, zitternd und das Arbeitskörbchen bewachend ihn ein wenig anblickte und dann mit ihren nie¬ derfallenden Augen kämpfte. Da ſchmolz ſein Herz; die Fluth der alten Liebe rauſchte hoch in ſein Leben zurück. „Liane, (ſagt' er im ſanfte¬ ſten Ton und ſeine Augen tropften,) biſt Du noch
meine
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[208/0220]
weinende Mutter, als ſie von ihr in den Tem¬
pel gieng, in deſſen Spiegeln ſie der Trennung
der unſchuldigen Menſchen zuſchauen konnte.
Albano kam langſam oben in den Gängen
daher, er hatte ſein Auge von Thränen rein
gemacht und ſein Herz von Stürmen. O, wie
hatt' er bisher wie ein lang umhergetriebner
Seefahrer in ſeine dunklen Wolken hineingeſe¬
hen um zwiſchen ihren Nebelſpitzen die Berg¬
ſpitze eines feſten grünen Landes auszufinden!
— daß er heute ſo viel, nämlich Alles verlieren
ſollte, ſo weit waren ſeine traurigſten Schlüſſe
nicht gegangen; ja er bewahrte ſo viel Ruhe,
daß er oben den kleinen nachtanzenden Pollux
nicht bedrohend ſondern beſchenkend zurück¬
ſchaffte.
Endlich ſtand er mit zuckenden Lippen vor
der geliebten ſchönen Geſtalt, die kindlich, bleich,
zitternd und das Arbeitskörbchen bewachend
ihn ein wenig anblickte und dann mit ihren nie¬
derfallenden Augen kämpfte. Da ſchmolz ſein
Herz; die Fluth der alten Liebe rauſchte hoch
in ſein Leben zurück. „Liane, (ſagt' er im ſanfte¬
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Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/220>, abgerufen am 23.11.2024.
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