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Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802.

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der Strom der Liebe hieng als ein gefrorner
zackiger Wasserfall über den Felsen.

"Ich dachte nicht, daß Du so hart wärest"
sagte sie und lächelte fremd. "Noch härter bin
ich, (sagt' er) -- ich rede wie Du handelst." --
"Hör' auf, hör' auf, Albano -- es wird mir
"so finster -- o, zu meiner Mutter will ich gleich"
rief sie plötzlich; die zwei alten, schwarzen Spin¬
nen, vom Schicksal herabgelassen, standen wie¬
der über ihren schönen Augen und überzogen
sie, ämsig-spinnend, immer dichter; und über
die goldnen Streifen des Lebens wuchs schon
grauer Schimmel her.

"Es ist die Sonnenfinsterniß" sagt' er, das
Erblinden der matt glänzenden Sichel des Son¬
nenviertels zuschreibend. Er sah oben im blau¬
en Himmel den Mond-Klumpen wie einen Lei¬
chenstein in die reine Sonne geworfen -- nicht
einmal recht schattige, sondern entnervte Schat¬
ten lebten im ungewissen grauen, Lichte -- die
Vögel flatterten scheu umher-- kalte Schauder
spielten wie Geister der Mittagsstunde im klei¬
nen, matten Scheine, der weder Sonnen- noch

der Strom der Liebe hieng als ein gefrorner
zackiger Waſſerfall über den Felſen.

„Ich dachte nicht, daß Du ſo hart wäreſt“
ſagte ſie und lächelte fremd. „Noch härter bin
ich, (ſagt' er) — ich rede wie Du handelſt.“ —
„Hör' auf, hör' auf, Albano — es wird mir
„ſo finſter — o, zu meiner Mutter will ich gleich“
rief ſie plötzlich; die zwei alten, ſchwarzen Spin¬
nen, vom Schickſal herabgelaſſen, ſtanden wie¬
der über ihren ſchönen Augen und überzogen
ſie, ämſig-ſpinnend, immer dichter; und über
die goldnen Streifen des Lebens wuchs ſchon
grauer Schimmel her.

„Es iſt die Sonnenfinſterniß“ ſagt' er, das
Erblinden der matt glänzenden Sichel des Son¬
nenviertels zuſchreibend. Er ſah oben im blau¬
en Himmel den Mond-Klumpen wie einen Lei¬
chenſtein in die reine Sonne geworfen — nicht
einmal recht ſchattige, ſondern entnervte Schat¬
ten lebten im ungewiſſen grauen, Lichte — die
Vögel flatterten ſcheu umher— kalte Schauder
ſpielten wie Geiſter der Mittagsſtunde im klei¬
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[212/0224] der Strom der Liebe hieng als ein gefrorner zackiger Waſſerfall über den Felſen. „Ich dachte nicht, daß Du ſo hart wäreſt“ ſagte ſie und lächelte fremd. „Noch härter bin ich, (ſagt' er) — ich rede wie Du handelſt.“ — „Hör' auf, hör' auf, Albano — es wird mir „ſo finſter — o, zu meiner Mutter will ich gleich“ rief ſie plötzlich; die zwei alten, ſchwarzen Spin¬ nen, vom Schickſal herabgelaſſen, ſtanden wie¬ der über ihren ſchönen Augen und überzogen ſie, ämſig-ſpinnend, immer dichter; und über die goldnen Streifen des Lebens wuchs ſchon grauer Schimmel her. „Es iſt die Sonnenfinſterniß“ ſagt' er, das Erblinden der matt glänzenden Sichel des Son¬ nenviertels zuſchreibend. Er ſah oben im blau¬ en Himmel den Mond-Klumpen wie einen Lei¬ chenſtein in die reine Sonne geworfen — nicht einmal recht ſchattige, ſondern entnervte Schat¬ ten lebten im ungewiſſen grauen, Lichte — die Vögel flatterten ſcheu umher— kalte Schauder ſpielten wie Geiſter der Mittagsſtunde im klei¬ nen, matten Scheine, der weder Sonnen- noch

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/224>, abgerufen am 27.11.2024.