Brust werde von Nichts gedrückt als vom Schut¬ te der zertrümmerten Luftschlösser seiner Hoff nung und Jugendliebe. Aber er war edler un¬ glücklich und trostlos, er wars, weil er zum er¬ stenmal einen Menschen und den besten elend gemacht -- seine Geliebte blind; -- in diese Vertiefung seines Herzens flossen alle benach¬ barten Quellen des Leidens zusammen. Die kleinsten bunten Scherben seines Glückstopfes wurden gleichsam von neuem zerschlagen, wenn er von Tag zu Tag vernahm, daß die Arme, obwohl täglich auf das Wasserhäuschen vor die heilenden Fontainen gestellt, doch immer ohne Lichtschein zurückgebracht werde und daß sie jetzt auf dieser Raub-Erde nichts weiter fürch¬ te und bejammere, als daß der Tod vielleicht die Augen schließe, ehe sie noch einmal die Mut¬ ter angesehen.
O die Wunde des Gewissens wird keine Narbe und die Zeit kühlt sie nicht mit ihrem Flügel, sondern hält sie bloß offen mit ihrer Sense. Albano rief sich Lianens bitteres Fle¬ hen um Schonung zurück und da tröstete es ihn nicht, daß er unter jener Sonnenfinsterniß nicht
Bruſt werde von Nichts gedrückt als vom Schut¬ te der zertrümmerten Luftſchlöſſer ſeiner Hoff nung und Jugendliebe. Aber er war edler un¬ glücklich und troſtlos, er wars, weil er zum er¬ ſtenmal einen Menſchen und den beſten elend gemacht — ſeine Geliebte blind; — in dieſe Vertiefung ſeines Herzens floſſen alle benach¬ barten Quellen des Leidens zuſammen. Die kleinſten bunten Scherben ſeines Glückstopfes wurden gleichſam von neuem zerſchlagen, wenn er von Tag zu Tag vernahm, daß die Arme, obwohl täglich auf das Waſſerhäuschen vor die heilenden Fontainen geſtellt, doch immer ohne Lichtſchein zurückgebracht werde und daß ſie jetzt auf dieſer Raub-Erde nichts weiter fürch¬ te und bejammere, als daß der Tod vielleicht die Augen ſchließe, ehe ſie noch einmal die Mut¬ ter angeſehen.
O die Wunde des Gewiſſens wird keine Narbe und die Zeit kühlt ſie nicht mit ihrem Flügel, ſondern hält ſie bloß offen mit ihrer Senſe. Albano rief ſich Lianens bitteres Fle¬ hen um Schonung zurück und da tröſtete es ihn nicht, daß er unter jener Sonnenfinſterniß nicht
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0229"n="217"/>
Bruſt werde von Nichts gedrückt als vom Schut¬<lb/>
te der zertrümmerten Luftſchlöſſer ſeiner Hoff<lb/>
nung und Jugendliebe. Aber er war edler un¬<lb/>
glücklich und troſtlos, er wars, weil er zum er¬<lb/>ſtenmal einen Menſchen und den beſten elend<lb/>
gemacht —ſeine Geliebte blind; — in dieſe<lb/>
Vertiefung ſeines Herzens floſſen alle benach¬<lb/>
barten Quellen des Leidens zuſammen. Die<lb/>
kleinſten bunten Scherben ſeines Glückstopfes<lb/>
wurden gleichſam von neuem zerſchlagen, wenn<lb/>
er von Tag zu Tag vernahm, daß die Arme,<lb/>
obwohl täglich auf das Waſſerhäuschen vor die<lb/>
heilenden Fontainen geſtellt, doch immer ohne<lb/>
Lichtſchein zurückgebracht werde und daß ſie<lb/>
jetzt auf dieſer Raub-Erde nichts weiter fürch¬<lb/>
te und bejammere, als daß der Tod vielleicht<lb/>
die Augen ſchließe, ehe ſie noch einmal die Mut¬<lb/>
ter angeſehen.</p><lb/><p>O die Wunde des Gewiſſens wird keine<lb/>
Narbe und die Zeit kühlt ſie nicht mit ihrem<lb/>
Flügel, ſondern hält ſie bloß offen mit ihrer<lb/>
Senſe. Albano rief ſich Lianens bitteres Fle¬<lb/>
hen um Schonung zurück und da tröſtete es ihn<lb/>
nicht, daß er unter jener Sonnenfinſterniß nicht<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[217/0229]
Bruſt werde von Nichts gedrückt als vom Schut¬
te der zertrümmerten Luftſchlöſſer ſeiner Hoff
nung und Jugendliebe. Aber er war edler un¬
glücklich und troſtlos, er wars, weil er zum er¬
ſtenmal einen Menſchen und den beſten elend
gemacht — ſeine Geliebte blind; — in dieſe
Vertiefung ſeines Herzens floſſen alle benach¬
barten Quellen des Leidens zuſammen. Die
kleinſten bunten Scherben ſeines Glückstopfes
wurden gleichſam von neuem zerſchlagen, wenn
er von Tag zu Tag vernahm, daß die Arme,
obwohl täglich auf das Waſſerhäuschen vor die
heilenden Fontainen geſtellt, doch immer ohne
Lichtſchein zurückgebracht werde und daß ſie
jetzt auf dieſer Raub-Erde nichts weiter fürch¬
te und bejammere, als daß der Tod vielleicht
die Augen ſchließe, ehe ſie noch einmal die Mut¬
ter angeſehen.
O die Wunde des Gewiſſens wird keine
Narbe und die Zeit kühlt ſie nicht mit ihrem
Flügel, ſondern hält ſie bloß offen mit ihrer
Senſe. Albano rief ſich Lianens bitteres Fle¬
hen um Schonung zurück und da tröſtete es ihn
nicht, daß er unter jener Sonnenfinſterniß nicht
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/229>, abgerufen am 15.06.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.