Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802.

Bild:
<< vorherige Seite

So wurde ihr heiliges Herz noch heiliger em¬
porgezogen und die dunkeln Passionsblumen
der Schmerzen schlossen sich in der lauen Au¬
gen-Nacht schlafend zu. Wie anders sind die
Leiden des Sünders als die des Frommen! Je¬
ne sind eine Mondsfinsterniß, durch welche die
schwarze Nacht noch wilder und schwärzer wird;
diese sind eine Sonnenfinsterniß, die den heis¬
sen Tag abkühlt und romantisch beschattet und
worin die Nachtigallen zu schlagen anfangen.

Auf diesem Wege bewahrte Liane mitten
unter fremden Seufzern um sie und im Gewit¬
ter um sie her, eine ruhige, genesende Brust; so
zieht oft das zarte, weiße Gewölke anfangs zer¬
rissen und gejagt, aber zuletzt geründet und
langsam durch den Himmel, wenn unten der
Sturm noch über die Erde schweift und Alles be¬
wegt und zerreisset. Aber, gute Liane, alle 32
Winde, sie mögen schöne Tage zu oder wegwe¬
hen, halten länger an, als die Windstille der
Ruhe!

85. Zykel.

Der Minister hatte, als sie aus Lilar mit
getödteten Augen heimgekommen, in sein rechtes

So wurde ihr heiliges Herz noch heiliger em¬
porgezogen und die dunkeln Paſſionsblumen
der Schmerzen ſchloſſen ſich in der lauen Au¬
gen-Nacht ſchlafend zu. Wie anders ſind die
Leiden des Sünders als die des Frommen! Je¬
ne ſind eine Mondsfinſterniß, durch welche die
ſchwarze Nacht noch wilder und ſchwärzer wird;
dieſe ſind eine Sonnenfinſterniß, die den heis¬
ſen Tag abkühlt und romantiſch beſchattet und
worin die Nachtigallen zu ſchlagen anfangen.

Auf dieſem Wege bewahrte Liane mitten
unter fremden Seufzern um ſie und im Gewit¬
ter um ſie her, eine ruhige, geneſende Bruſt; ſo
zieht oft das zarte, weiße Gewölke anfangs zer¬
riſſen und gejagt, aber zuletzt geründet und
langſam durch den Himmel, wenn unten der
Sturm noch über die Erde ſchweift und Alles be¬
wegt und zerreiſſet. Aber, gute Liane, alle 32
Winde, ſie mögen ſchöne Tage zu oder wegwe¬
hen, halten länger an, als die Windſtille der
Ruhe!

85. Zykel.

Der Miniſter hatte, als ſie aus Lilar mit
getödteten Augen heimgekommen, in ſein rechtes

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0247" n="235"/>
So wurde ihr heiliges Herz noch heiliger em¬<lb/>
porgezogen und die dunkeln Pa&#x017F;&#x017F;ionsblumen<lb/>
der Schmerzen &#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich in der lauen Au¬<lb/>
gen-Nacht &#x017F;chlafend zu. Wie anders &#x017F;ind die<lb/>
Leiden des Sünders als die des Frommen! Je¬<lb/>
ne &#x017F;ind eine Mondsfin&#x017F;terniß, durch welche die<lb/>
&#x017F;chwarze Nacht noch wilder und &#x017F;chwärzer wird;<lb/>
die&#x017F;e &#x017F;ind eine Sonnenfin&#x017F;terniß, die den heis¬<lb/>
&#x017F;en Tag abkühlt und romanti&#x017F;ch be&#x017F;chattet und<lb/>
worin die Nachtigallen zu &#x017F;chlagen anfangen.</p><lb/>
          <p>Auf die&#x017F;em Wege bewahrte Liane mitten<lb/>
unter fremden Seufzern um &#x017F;ie und im Gewit¬<lb/>
ter um &#x017F;ie her, eine ruhige, gene&#x017F;ende Bru&#x017F;t; &#x017F;o<lb/>
zieht oft das zarte, weiße Gewölke anfangs zer¬<lb/>
ri&#x017F;&#x017F;en und gejagt, aber zuletzt geründet und<lb/>
lang&#x017F;am durch den Himmel, wenn unten der<lb/>
Sturm noch über die Erde &#x017F;chweift und Alles be¬<lb/>
wegt und zerrei&#x017F;&#x017F;et. Aber, gute Liane, alle 32<lb/>
Winde, &#x017F;ie mögen &#x017F;chöne Tage zu oder wegwe¬<lb/>
hen, halten länger an, als die Wind&#x017F;tille der<lb/>
Ruhe!</p><lb/>
        </div>
        <div n="2">
          <head>85. <hi rendition="#g">Zykel</hi>.<lb/></head>
          <p>Der Mini&#x017F;ter hatte, als &#x017F;ie aus Lilar mit<lb/>
getödteten Augen heimgekommen, in &#x017F;ein rechtes<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[235/0247] So wurde ihr heiliges Herz noch heiliger em¬ porgezogen und die dunkeln Paſſionsblumen der Schmerzen ſchloſſen ſich in der lauen Au¬ gen-Nacht ſchlafend zu. Wie anders ſind die Leiden des Sünders als die des Frommen! Je¬ ne ſind eine Mondsfinſterniß, durch welche die ſchwarze Nacht noch wilder und ſchwärzer wird; dieſe ſind eine Sonnenfinſterniß, die den heis¬ ſen Tag abkühlt und romantiſch beſchattet und worin die Nachtigallen zu ſchlagen anfangen. Auf dieſem Wege bewahrte Liane mitten unter fremden Seufzern um ſie und im Gewit¬ ter um ſie her, eine ruhige, geneſende Bruſt; ſo zieht oft das zarte, weiße Gewölke anfangs zer¬ riſſen und gejagt, aber zuletzt geründet und langſam durch den Himmel, wenn unten der Sturm noch über die Erde ſchweift und Alles be¬ wegt und zerreiſſet. Aber, gute Liane, alle 32 Winde, ſie mögen ſchöne Tage zu oder wegwe¬ hen, halten länger an, als die Windſtille der Ruhe! 85. Zykel. Der Miniſter hatte, als ſie aus Lilar mit getödteten Augen heimgekommen, in ſein rechtes

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/247
Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/247>, abgerufen am 27.11.2024.