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Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802.

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der gewaffnet auf ihn ein. So stritt hier
Alles gegeneinander, Wunsch, Pflicht, Glück
und Ort. Beide waren sich neu und unbe¬
kannt aus Liebe; aber Liane errieth so we¬
nig als er. O wie zwei Menschen, ähn¬
liche Wesen, einander fremd und ungleich wer¬
den, bloß weil eine Gottheit zwischen beiden
schwebt und beide anglänzt!

Etwas blieb in ihm unharmonisch und unauf¬
gelöset; er fühlt' es so sehr, da die Sommer¬
nacht für höhere Entzückungen schimmerte als
er hatte -- da der tief im Aether zitternde
Abendstern der Sonne durch die Wolkenrosen
nachdrang, worunter sie begraben war -- da
die Aehrenfluren dufteten und nicht rauschten,
und die zugeschlossenen Auen grünten und nicht
glühten -- und da die Welt und jede Nachti¬
gal schlief, und da das Leben unten ein stiller
Klostergarten war, und nur oben die Sternbilder
als silberne Aetherharfen vor Frühlingswinden
ferner Erden zu zittern und zu tönen schienen.

Er muste Liane morgen wiedersehen, um sein
Herz auszustimmen. Rabette kam unendlich er¬
heitert mit ihrem Freunde vom Berge herauf,

der gewaffnet auf ihn ein. So ſtritt hier
Alles gegeneinander, Wunſch, Pflicht, Glück
und Ort. Beide waren ſich neu und unbe¬
kannt aus Liebe; aber Liane errieth ſo we¬
nig als er. O wie zwei Menſchen, ähn¬
liche Weſen, einander fremd und ungleich wer¬
den, bloß weil eine Gottheit zwiſchen beiden
ſchwebt und beide anglänzt!

Etwas blieb in ihm unharmoniſch und unauf¬
gelöſet; er fühlt' es ſo ſehr, da die Sommer¬
nacht für höhere Entzückungen ſchimmerte als
er hatte — da der tief im Aether zitternde
Abendſtern der Sonne durch die Wolkenroſen
nachdrang, worunter ſie begraben war — da
die Aehrenfluren dufteten und nicht rauſchten,
und die zugeſchloſſenen Auen grünten und nicht
glühten — und da die Welt und jede Nachti¬
gal ſchlief, und da das Leben unten ein ſtiller
Kloſtergarten war, und nur oben die Sternbilder
als ſilberne Aetherharfen vor Frühlingswinden
ferner Erden zu zittern und zu tönen ſchienen.

Er muſte Liane morgen wiederſehen, um ſein
Herz auszuſtimmen. Rabette kam unendlich er¬
heitert mit ihrem Freunde vom Berge herauf,

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[23/0035] der gewaffnet auf ihn ein. So ſtritt hier Alles gegeneinander, Wunſch, Pflicht, Glück und Ort. Beide waren ſich neu und unbe¬ kannt aus Liebe; aber Liane errieth ſo we¬ nig als er. O wie zwei Menſchen, ähn¬ liche Weſen, einander fremd und ungleich wer¬ den, bloß weil eine Gottheit zwiſchen beiden ſchwebt und beide anglänzt! Etwas blieb in ihm unharmoniſch und unauf¬ gelöſet; er fühlt' es ſo ſehr, da die Sommer¬ nacht für höhere Entzückungen ſchimmerte als er hatte — da der tief im Aether zitternde Abendſtern der Sonne durch die Wolkenroſen nachdrang, worunter ſie begraben war — da die Aehrenfluren dufteten und nicht rauſchten, und die zugeſchloſſenen Auen grünten und nicht glühten — und da die Welt und jede Nachti¬ gal ſchlief, und da das Leben unten ein ſtiller Kloſtergarten war, und nur oben die Sternbilder als ſilberne Aetherharfen vor Frühlingswinden ferner Erden zu zittern und zu tönen ſchienen. Er muſte Liane morgen wiederſehen, um ſein Herz auszuſtimmen. Rabette kam unendlich er¬ heitert mit ihrem Freunde vom Berge herauf,

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/35>, abgerufen am 21.11.2024.