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Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802.

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dieser selber war ihm zuvorgekommen mit bit¬
ter-süßen Thränen über die bittersten.

Letzterer war ihm einmal begegnet, mit her¬
eingedrücktem Hut und grimmig-stechendem Blick
ohne Gruß. -- Überall hört' er, daß jener um¬
sonst Linda's und Juliennens Doppelthor bela¬
gere und berenne; dieses und Lianens Krank¬
seyn machte den tropischen Wilden gleichsam
zum wilderwachsenen Knaben aus einem Wald.
Auch in der jetzigen Absonderung -- auf der
Wahlstatt des Freundes -- hielt es Albano
für eine Wunde des Menschen, daß Karl
nicht von ihm voraussetzte -- denn diesem Man¬
gel schrieb er den Gassen-Grimm zu --, er
werde die Gräfin nicht zu sehen suchen.

Sogar im Bibliothekar schien seit einigen
Tagen ein Geheimniß zu lauern; dieser aber
gieng, seit es ihm in dessen Tiefen immer lich¬
ter geworden und er hinter dessen komische Lar¬
ve hineingesehen bis zum redlichen Auge und
liebevollen Mund, -- sein Herz so nahe an,
zumal nach so vielen Trennungen. Denn auch
der Lektor hielt sich nach seiner Gewohnheit,
um keines Menschen oder gar abtrünnigen

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dieſer ſelber war ihm zuvorgekommen mit bit¬
ter-ſüßen Thränen über die bitterſten.

Letzterer war ihm einmal begegnet, mit her¬
eingedrücktem Hut und grimmig-ſtechendem Blick
ohne Gruß. — Überall hört' er, daß jener um¬
ſonſt Linda's und Juliennens Doppelthor bela¬
gere und berenne; dieſes und Lianens Krank¬
ſeyn machte den tropiſchen Wilden gleichſam
zum wilderwachſenen Knaben aus einem Wald.
Auch in der jetzigen Abſonderung — auf der
Wahlſtatt des Freundes — hielt es Albano
für eine Wunde des Menſchen, daß Karl
nicht von ihm vorausſetzte — denn dieſem Man¬
gel ſchrieb er den Gaſſen-Grimm zu —, er
werde die Gräfin nicht zu ſehen ſuchen.

Sogar im Bibliothekar ſchien ſeit einigen
Tagen ein Geheimniß zu lauern; dieſer aber
gieng, ſeit es ihm in deſſen Tiefen immer lich¬
ter geworden und er hinter deſſen komiſche Lar¬
ve hineingeſehen bis zum redlichen Auge und
liebevollen Mund, — ſein Herz ſo nahe an,
zumal nach ſo vielen Trennungen. Denn auch
der Lektor hielt ſich nach ſeiner Gewohnheit,
um keines Menſchen oder gar abtrünnigen

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[339/0351] dieſer ſelber war ihm zuvorgekommen mit bit¬ ter-ſüßen Thränen über die bitterſten. Letzterer war ihm einmal begegnet, mit her¬ eingedrücktem Hut und grimmig-ſtechendem Blick ohne Gruß. — Überall hört' er, daß jener um¬ ſonſt Linda's und Juliennens Doppelthor bela¬ gere und berenne; dieſes und Lianens Krank¬ ſeyn machte den tropiſchen Wilden gleichſam zum wilderwachſenen Knaben aus einem Wald. Auch in der jetzigen Abſonderung — auf der Wahlſtatt des Freundes — hielt es Albano für eine Wunde des Menſchen, daß Karl nicht von ihm vorausſetzte — denn dieſem Man¬ gel ſchrieb er den Gaſſen-Grimm zu —, er werde die Gräfin nicht zu ſehen ſuchen. Sogar im Bibliothekar ſchien ſeit einigen Tagen ein Geheimniß zu lauern; dieſer aber gieng, ſeit es ihm in deſſen Tiefen immer lich¬ ter geworden und er hinter deſſen komiſche Lar¬ ve hineingeſehen bis zum redlichen Auge und liebevollen Mund, — ſein Herz ſo nahe an, zumal nach ſo vielen Trennungen. Denn auch der Lektor hielt ſich nach ſeiner Gewohnheit, um keines Menſchen oder gar abtrünnigen Y 2

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802, S. 339. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/351>, abgerufen am 24.06.2024.