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Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802.

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Herz widerstrebte schmerzlich dem Schweigen.
Sie berief sich auf ihren hereintretenden Bru¬
der. Aber dieser war ganz Albano's Mei¬
nung: die Weiber (setzte er, nicht in der besten
Laune, hinzu) mögen lieber von als in der
Liebe sprechen, die Männer umgekehrt. --
"Nein, (sagte Liane entschieden,) wenn mich
meine Mutter fragt, so kann ich nicht unwahr
seyn." -- "Gott! (rief Albano erschrocken aus,)
wer könnte auch das wünschen?" Denn auch
ihm war freie Wahrheit der offne Helm des
Seelenadels, nur sagte er sie bloß aus Selbst¬
achtung und Liane sie aus Menschenliebe.

Rabette kam mit dem Thee-Zeug und einer
Flasche, worin für den Hauptmann Thee-
Mark und Elementarfeuer oder Nerven-Aether
war, Arrac. Er ging ungern am Morgen zu
Leuten, bei denen er ihn erst am Abend trin¬
ken konnte; Rabette hatte gestern diese Unart
gemeint und heute befriedigt. -- "Wie kann
das freie Ich, (sagte der gesunde Albano oft
zu ihm,) sich zum Knechte der Sinnen und Ein¬
geweide machen? Sind wir ohnehin nicht eng¬
gebunden genug durch die Körper-Bande und

Herz widerſtrebte ſchmerzlich dem Schweigen.
Sie berief ſich auf ihren hereintretenden Bru¬
der. Aber dieſer war ganz Albano's Mei¬
nung: die Weiber (ſetzte er, nicht in der beſten
Laune, hinzu) mögen lieber von als in der
Liebe ſprechen, die Männer umgekehrt. —
„Nein, (ſagte Liane entſchieden,) wenn mich
meine Mutter fragt, ſo kann ich nicht unwahr
ſeyn.“ — „Gott! (rief Albano erſchrocken aus,)
wer könnte auch das wünſchen?“ Denn auch
ihm war freie Wahrheit der offne Helm des
Seelenadels, nur ſagte er ſie bloß aus Selbſt¬
achtung und Liane ſie aus Menſchenliebe.

Rabette kam mit dem Thee-Zeug und einer
Flaſche, worin für den Hauptmann Thee-
Mark und Elementarfeuer oder Nerven-Aether
war, Arrac. Er ging ungern am Morgen zu
Leuten, bei denen er ihn erſt am Abend trin¬
ken konnte; Rabette hatte geſtern dieſe Unart
gemeint und heute befriedigt. — „Wie kann
das freie Ich, (ſagte der geſunde Albano oft
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geweide machen? Sind wir ohnehin nicht eng¬
gebunden genug durch die Körper-Bande und

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[28/0040] Herz widerſtrebte ſchmerzlich dem Schweigen. Sie berief ſich auf ihren hereintretenden Bru¬ der. Aber dieſer war ganz Albano's Mei¬ nung: die Weiber (ſetzte er, nicht in der beſten Laune, hinzu) mögen lieber von als in der Liebe ſprechen, die Männer umgekehrt. — „Nein, (ſagte Liane entſchieden,) wenn mich meine Mutter fragt, ſo kann ich nicht unwahr ſeyn.“ — „Gott! (rief Albano erſchrocken aus,) wer könnte auch das wünſchen?“ Denn auch ihm war freie Wahrheit der offne Helm des Seelenadels, nur ſagte er ſie bloß aus Selbſt¬ achtung und Liane ſie aus Menſchenliebe. Rabette kam mit dem Thee-Zeug und einer Flaſche, worin für den Hauptmann Thee- Mark und Elementarfeuer oder Nerven-Aether war, Arrac. Er ging ungern am Morgen zu Leuten, bei denen er ihn erſt am Abend trin¬ ken konnte; Rabette hatte geſtern dieſe Unart gemeint und heute befriedigt. — „Wie kann das freie Ich, (ſagte der geſunde Albano oft zu ihm,) ſich zum Knechte der Sinnen und Ein¬ geweide machen? Sind wir ohnehin nicht eng¬ gebunden genug durch die Körper-Bande und

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/40>, abgerufen am 03.12.2024.