hass' ich recht; wenn einmal ein seltener Mensch einen ganzen Willen hat und keinen halben und auf seiner Kraft beruht und nicht wie ein Schaalthier sich an jedes andere klebt: so heis¬ set er kalt. Ist die Sonne in der Nähe nicht auch kalt?" -- "Der Tod ist kalt, (rief Al¬ bano sehr bewegt, weil er oft selber mehr Kraft als Liebe zu haben glaubte,) aber eine erha¬ bene Kälte, eine erhabene Quaal kann es wohl geben, die mit Adlersklaue das Herz in die Hö¬ he entführt, aber es zerreisset mitten im Him¬ mel und vor der Sonne."
Sie sah ihn groß an: "Ihr sprecht ja wie ein Weib; (sagte sie) das allein hat ohne die Macht der Liebe nichts zu wollen und zu thun; aber es war artig." -- Dian, zu allgemeinen Betrachtungen verdorben und nur zu indivi¬ duellen tüchtig, unterbrach sie mit Fragen über einzelne Kunstwerke in Neapel; sie theilte sehr offen ihre eigenthümliche Ansicht mit, obwohl ziem¬ lich entscheidend. Albano dachte zuerst an seinen zeichnenden Freund Schoppe und fragte nach ihm: "bei meiner Abreise (sagte sie) war er noch in Pestiz, ob ich gleich nicht begreife, was
haſſ' ich recht; wenn einmal ein ſeltener Menſch einen ganzen Willen hat und keinen halben und auf ſeiner Kraft beruht und nicht wie ein Schaalthier ſich an jedes andere klebt: ſo heis¬ ſet er kalt. Iſt die Sonne in der Nähe nicht auch kalt?“ — „Der Tod iſt kalt, (rief Al¬ bano ſehr bewegt, weil er oft ſelber mehr Kraft als Liebe zu haben glaubte,) aber eine erha¬ bene Kälte, eine erhabene Quaal kann es wohl geben, die mit Adlersklaue das Herz in die Hö¬ he entführt, aber es zerreiſſet mitten im Him¬ mel und vor der Sonne.“
Sie ſah ihn groß an: „Ihr ſprecht ja wie ein Weib; (ſagte ſie) das allein hat ohne die Macht der Liebe nichts zu wollen und zu thun; aber es war artig.“ — Dian, zu allgemeinen Betrachtungen verdorben und nur zu indivi¬ duellen tüchtig, unterbrach ſie mit Fragen über einzelne Kunſtwerke in Neapel; ſie theilte ſehr offen ihre eigenthümliche Anſicht mit, obwohl ziem¬ lich entſcheidend. Albano dachte zuerſt an ſeinen zeichnenden Freund Schoppe und fragte nach ihm: „bei meiner Abreiſe (ſagte ſie) war er noch in Peſtiz, ob ich gleich nicht begreife, was
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haſſ' ich recht; wenn einmal ein ſeltener Menſch
einen ganzen Willen hat und keinen halben
und auf ſeiner Kraft beruht und nicht wie ein
Schaalthier ſich an jedes andere klebt: ſo heis¬
ſet er kalt. Iſt die Sonne in der Nähe nicht
auch kalt?“ — „Der Tod iſt kalt, (rief Al¬
bano ſehr bewegt, weil er oft ſelber mehr Kraft
als Liebe zu haben glaubte,) aber eine erha¬
bene Kälte, eine erhabene Quaal kann es wohl
geben, die mit Adlersklaue das Herz in die Hö¬
he entführt, aber es zerreiſſet mitten im Him¬
mel und vor der Sonne.“
Sie ſah ihn groß an: „Ihr ſprecht ja wie
ein Weib; (ſagte ſie) das allein hat ohne die
Macht der Liebe nichts zu wollen und zu thun;
aber es war artig.“ — Dian, zu allgemeinen
Betrachtungen verdorben und nur zu indivi¬
duellen tüchtig, unterbrach ſie mit Fragen über
einzelne Kunſtwerke in Neapel; ſie theilte ſehr
offen ihre eigenthümliche Anſicht mit, obwohl ziem¬
lich entſcheidend. Albano dachte zuerſt an ſeinen
zeichnenden Freund Schoppe und fragte nach
ihm: „bei meiner Abreiſe (ſagte ſie) war er
noch in Peſtiz, ob ich gleich nicht begreife, was
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Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/144>, abgerufen am 19.05.2024.
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