fremden Augen standen ihnen keine Worte, kaum Blicke frei. Als Albano wieder das Schlachtfeld der Zeit, die Ruinen-Küste nä¬ her sah, die den Mann ewig fassen und heben die alten Tempel und Thermen, wie alte Schiffe auf dem Lande sterbend -- hier einen niedergedrückten Riesentempel, dort eine Stadt¬ gasse unten auf dem Meersboden *)-- die heiligen Gedächtnißsäulen und Leuchtthürme vo¬ riger Größe leer und ausgelöscht neben der ewig jungen Schönheit der alten Natur: so vergaß er die Nachbarschaft seiner eignen Ver¬ gänglichkeit und sagte zu Linda, deren Auge er dahin gerichtet: "vielleicht errath' ich, was Sie jetzt denken, daß die Ruinen der zwei grö߬ ten Zeiten, der griechischen und römischen, uns nur an eine fremde Vergangenheit erinnern, indeß andere Ruinen uns nur gleich der Musik an die eigne mahnen, das dachten Sie viel¬ leicht." -- "Wir denken hier gar nichts, (sagte Julienne,) es ist genug, wenn wir weinen, daß
wir
*) Bei Baja.
fremden Augen ſtanden ihnen keine Worte, kaum Blicke frei. Als Albano wieder das Schlachtfeld der Zeit, die Ruinen-Küſte nä¬ her ſah, die den Mann ewig faſſen und heben die alten Tempel und Thermen, wie alte Schiffe auf dem Lande ſterbend — hier einen niedergedrückten Rieſentempel, dort eine Stadt¬ gaſſe unten auf dem Meersboden *)— die heiligen Gedächtnißſäulen und Leuchtthürme vo¬ riger Größe leer und ausgelöſcht neben der ewig jungen Schönheit der alten Natur: ſo vergaß er die Nachbarſchaft ſeiner eignen Ver¬ gänglichkeit und ſagte zu Linda, deren Auge er dahin gerichtet: „vielleicht errath' ich, was Sie jetzt denken, daß die Ruinen der zwei grö߬ ten Zeiten, der griechiſchen und römiſchen, uns nur an eine fremde Vergangenheit erinnern, indeß andere Ruinen uns nur gleich der Muſik an die eigne mahnen, das dachten Sie viel¬ leicht.“ — „Wir denken hier gar nichts, (ſagte Julienne,) es iſt genug, wenn wir weinen, daß
wir
*) Bei Baja.
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[208/0220]
fremden Augen ſtanden ihnen keine Worte,
kaum Blicke frei. Als Albano wieder das
Schlachtfeld der Zeit, die Ruinen-Küſte nä¬
her ſah, die den Mann ewig faſſen und heben
die alten Tempel und Thermen, wie alte
Schiffe auf dem Lande ſterbend — hier einen
niedergedrückten Rieſentempel, dort eine Stadt¬
gaſſe unten auf dem Meersboden *)— die
heiligen Gedächtnißſäulen und Leuchtthürme vo¬
riger Größe leer und ausgelöſcht neben der
ewig jungen Schönheit der alten Natur: ſo
vergaß er die Nachbarſchaft ſeiner eignen Ver¬
gänglichkeit und ſagte zu Linda, deren Auge
er dahin gerichtet: „vielleicht errath' ich, was
Sie jetzt denken, daß die Ruinen der zwei grö߬
ten Zeiten, der griechiſchen und römiſchen, uns
nur an eine fremde Vergangenheit erinnern,
indeß andere Ruinen uns nur gleich der Muſik
an die eigne mahnen, das dachten Sie viel¬
leicht.“ — „Wir denken hier gar nichts, (ſagte
Julienne,) es iſt genug, wenn wir weinen, daß
wir
*)
Bei Baja.
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Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/220>, abgerufen am 24.11.2024.
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