Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803.um keinen Verdacht zu wecken. Er schlich leise Tief im engern laubigen Thale sang Linda Er hieng an ihr sprachlos -- athemlos -- um keinen Verdacht zu wecken. Er ſchlich leiſe Tief im engern laubigen Thale ſang Linda Er hieng an ihr ſprachlos — athemlos — <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0384" n="372"/> um keinen Verdacht zu wecken. Er ſchlich leiſe<lb/> wie der Tod, der auf dem Donnerwagen einer<lb/> Wolke ungehört durch Lüfte über den Blüthen¬<lb/> baum zieht, worunter eine Jungfrau lehnt,<lb/> und verſteckte den mörderiſchen Wetterſtrahl in<lb/> ſeine Bruſt. Er öffnete das hohe Pforten-Ge¬<lb/> ſträuch des Flötenthals; alles war darin ſtill<lb/> und dunkel; nur hoch im Himmel gieng ein<lb/> ſeltſamer brauſender Sturm und jagte die Wol¬<lb/> ken-Heerde, aber auf der Erde war es leiſe<lb/> und kein Blatt bewegte ſich. „Iſt jemand da?“<lb/> fragte die blinde Thürhüterin. „Guten Abend,<lb/> Mädchen!“ ſagte Roquairol, um durch ſeinen<lb/> Sprachton für Albano zu gelten.</p><lb/> <p>Tief im engern laubigen Thale ſang Linda<lb/> leiſe ein altes ſpaniſches Lied aus ihrer Kinder¬<lb/> zeit. Endlich wurde ſie erblickt — die Rieſen¬<lb/> ſchlange that den giftigen Sprung nach der<lb/> ſüßen Geſtalt und ſie wurde tauſendfach um¬<lb/> wunden.</p><lb/> <p>Er hieng an ihr ſprachlos — athemlos —<lb/> die Wolke ſeines Lebens brach — Thränen<lb/> der Gluth und Pein und Wonne rannen bren¬<lb/> nend fort — alle Arme, worein der Strom<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [372/0384]
um keinen Verdacht zu wecken. Er ſchlich leiſe
wie der Tod, der auf dem Donnerwagen einer
Wolke ungehört durch Lüfte über den Blüthen¬
baum zieht, worunter eine Jungfrau lehnt,
und verſteckte den mörderiſchen Wetterſtrahl in
ſeine Bruſt. Er öffnete das hohe Pforten-Ge¬
ſträuch des Flötenthals; alles war darin ſtill
und dunkel; nur hoch im Himmel gieng ein
ſeltſamer brauſender Sturm und jagte die Wol¬
ken-Heerde, aber auf der Erde war es leiſe
und kein Blatt bewegte ſich. „Iſt jemand da?“
fragte die blinde Thürhüterin. „Guten Abend,
Mädchen!“ ſagte Roquairol, um durch ſeinen
Sprachton für Albano zu gelten.
Tief im engern laubigen Thale ſang Linda
leiſe ein altes ſpaniſches Lied aus ihrer Kinder¬
zeit. Endlich wurde ſie erblickt — die Rieſen¬
ſchlange that den giftigen Sprung nach der
ſüßen Geſtalt und ſie wurde tauſendfach um¬
wunden.
Er hieng an ihr ſprachlos — athemlos —
die Wolke ſeines Lebens brach — Thränen
der Gluth und Pein und Wonne rannen bren¬
nend fort — alle Arme, worein der Strom
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