ein kalter Grimm gegen das Verhängniß, das immer mit einem schnellen Wirbelwind zwischen seine Umarmungen fuhr und alles auseinander drängte -- bald ein Zorn gegen Linda, die nicht wie eine Liane gehandelt hatte und die den Irrthum der Verwechslung durch ihren Grundsatz, der Liebe alles zu vergeben, selber mit verschuldete -- bald inniges Mitleiden, da sie ohne alle geistige Ähnlichkeiten nicht hätte verwechseln können, wie ihm das heimliche Ge¬ richt des Gewissens sagte, und da sie nun al¬ lein dafür büßte, daß sie ihm, ihm sich opfern wollte.
Unaussprechlich haßte er den todten Ver¬ führer, weil durch seine That sein Tod nur zu einer feigen Flucht geworden war. Den armen Deserteur, dessen Entwischen unter dem Trauerspiel laut geworden, sah er gefangen vor sich vorüber führen; aber der Hauptmann desselben war auf immer der Rache entronnen. Nach einigen Tagen wurden ihm Papiere von dem Todten zugestellt; aber er sah sie voll Ab¬ scheu nicht an. Sie enthielten Rechtfertigungen und zugleich Nach-Sünden. Roquairol hatte
ein kalter Grimm gegen das Verhängniß, das immer mit einem ſchnellen Wirbelwind zwiſchen ſeine Umarmungen fuhr und alles auseinander drängte — bald ein Zorn gegen Linda, die nicht wie eine Liane gehandelt hatte und die den Irrthum der Verwechslung durch ihren Grundſatz, der Liebe alles zu vergeben, ſelber mit verſchuldete — bald inniges Mitleiden, da ſie ohne alle geiſtige Ähnlichkeiten nicht hätte verwechſeln können, wie ihm das heimliche Ge¬ richt des Gewiſſens ſagte, und da ſie nun al¬ lein dafür büßte, daß ſie ihm, ihm ſich opfern wollte.
Unausſprechlich haßte er den todten Ver¬ führer, weil durch ſeine That ſein Tod nur zu einer feigen Flucht geworden war. Den armen Deſerteur, deſſen Entwiſchen unter dem Trauerſpiel laut geworden, ſah er gefangen vor ſich vorüber führen; aber der Hauptmann deſſelben war auf immer der Rache entronnen. Nach einigen Tagen wurden ihm Papiere von dem Todten zugeſtellt; aber er ſah ſie voll Ab¬ ſcheu nicht an. Sie enthielten Rechtfertigungen und zugleich Nach-Sünden. Roquairol hatte
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ein kalter Grimm gegen das Verhängniß, das
immer mit einem ſchnellen Wirbelwind zwiſchen
ſeine Umarmungen fuhr und alles auseinander
drängte — bald ein Zorn gegen Linda, die
nicht wie eine Liane gehandelt hatte und die
den Irrthum der Verwechslung durch ihren
Grundſatz, der Liebe alles zu vergeben, ſelber
mit verſchuldete — bald inniges Mitleiden, da
ſie ohne alle geiſtige Ähnlichkeiten nicht hätte
verwechſeln können, wie ihm das heimliche Ge¬
richt des Gewiſſens ſagte, und da ſie nun al¬
lein dafür büßte, daß ſie ihm, ihm ſich opfern
wollte.
Unausſprechlich haßte er den todten Ver¬
führer, weil durch ſeine That ſein Tod nur
zu einer feigen Flucht geworden war. Den
armen Deſerteur, deſſen Entwiſchen unter dem
Trauerſpiel laut geworden, ſah er gefangen
vor ſich vorüber führen; aber der Hauptmann
deſſelben war auf immer der Rache entronnen.
Nach einigen Tagen wurden ihm Papiere von
dem Todten zugeſtellt; aber er ſah ſie voll Ab¬
ſcheu nicht an. Sie enthielten Rechtfertigungen
und zugleich Nach-Sünden. Roquairol hatte
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Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803, S. 425. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/437>, abgerufen am 22.11.2024.
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