Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803.Gaspard am Morgen abgereiset. "Hat Schop¬ Gaſpard am Morgen abgereiſet. „Hat Schop¬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0452" n="440"/> Gaſpard am Morgen abgereiſet. „Hat Schop¬<lb/> pe beide durch Wahrheit fortgetrieben?“ fragt'<lb/> er ſich verlaſſen und allein. Vergeblich ſpürte<lb/> er Schoppen mehrere Tage nach; nicht einmal<lb/> geſehen war er worden. „Auch Du, lieber<lb/> Schoppe!“ ſagt' er und ſchauderte über die<lb/> Grauſamkeit des Schickſals gegen ſich. Als er<lb/> ſo über ſich und die ſtille dunkle Wüſte ſei¬<lb/> nes Lebens hinſah: ſo war ihm auf einmal,<lb/> als würde ſein Leben plötzlich erleuchtet und ein<lb/> Sonnenblick fiele auf den ganzen Waſſerſpie¬<lb/> gel der verfloſſenen dunkeln Zeit; es ſprach in<lb/> ihm: „was iſt denn da geweſen? Menſchen —<lb/> Träume — blaue Tage — ſchwarze Nächte —<lb/> Ohne mich hergeflogen, ohne mich fortgeflogen,<lb/> wie fliegender Sommer, den die Menſchenhand<lb/> weder ſpinnen noch befeſtigen kann. Was iſt<lb/> da geblieben? Ein weites Weh über das ganze<lb/> Herz — aber das Herz auch — Es iſt freilich<lb/> leer, aber feſt — unzerrüttet — heiß — Die<lb/> Geliebten ſind verlohren, nicht die Liebe, die<lb/> Blüthen ſind herunter, nicht die Zweige — Ich<lb/> will ja noch, wünſche noch, die Vergangenheit<lb/> hat mir die Zukunft nicht geſtohlen — Noch<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [440/0452]
Gaſpard am Morgen abgereiſet. „Hat Schop¬
pe beide durch Wahrheit fortgetrieben?“ fragt'
er ſich verlaſſen und allein. Vergeblich ſpürte
er Schoppen mehrere Tage nach; nicht einmal
geſehen war er worden. „Auch Du, lieber
Schoppe!“ ſagt' er und ſchauderte über die
Grauſamkeit des Schickſals gegen ſich. Als er
ſo über ſich und die ſtille dunkle Wüſte ſei¬
nes Lebens hinſah: ſo war ihm auf einmal,
als würde ſein Leben plötzlich erleuchtet und ein
Sonnenblick fiele auf den ganzen Waſſerſpie¬
gel der verfloſſenen dunkeln Zeit; es ſprach in
ihm: „was iſt denn da geweſen? Menſchen —
Träume — blaue Tage — ſchwarze Nächte —
Ohne mich hergeflogen, ohne mich fortgeflogen,
wie fliegender Sommer, den die Menſchenhand
weder ſpinnen noch befeſtigen kann. Was iſt
da geblieben? Ein weites Weh über das ganze
Herz — aber das Herz auch — Es iſt freilich
leer, aber feſt — unzerrüttet — heiß — Die
Geliebten ſind verlohren, nicht die Liebe, die
Blüthen ſind herunter, nicht die Zweige — Ich
will ja noch, wünſche noch, die Vergangenheit
hat mir die Zukunft nicht geſtohlen — Noch
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Zitationshilfe: | Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803, S. 440. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/452>, abgerufen am 27.07.2024. |