Der Spanier rüttelte beide um, und ersuchte Albano, mit dem Fuße auf eine zu treten zum Wahlzeichen. Es geschah. "Wir schießen zu¬ gleich, (sagte der Oheim,) sobald es die zwei Viertel ausschlägt." -- "Nein, (sagte Albano,) schießet bei dem ersten Schlag, ich bei dem zweiten." -- "Warum nicht?" versetzte jener
Sie stellten sich in den entgegengesetzten Zimmer-Winkeln einander gegenüber -- mit den Pistolen in den Händen den Schlag halb zwölf Uhr erwartend. Der Spanier machte im stummen Horchen die Augen zu. Als Al¬ bano in dieses geschlossene Büsten-Gesicht sah, kam ihm vor, als könne an einem solchen We¬ sen gar keine Sünde begangen werden, ge¬ schweige ein Todtschlag. Plötzlich murmelten im leisen Zimmer fünf Stimmen durcheinander, als kämen sie von den alten Philosophen-Bü¬ sten an den Wänden; der Vater des Todes, der Kahlkopf, die Dohle schienen zu reden und eine unbekannte Stimme als sey es der soge¬ nannte Finstere. Sie sagten unter einander: "Finsterer, nicht wahr, ich habe keine Wahr¬ heit gesagt? -- Ich bringe fünf Thränen,
Der Spanier rüttelte beide um, und erſuchte Albano, mit dem Fuße auf eine zu treten zum Wahlzeichen. Es geſchah. „Wir ſchießen zu¬ gleich, (ſagte der Oheim,) ſobald es die zwei Viertel ausſchlägt.“ — „Nein, (ſagte Albano,) ſchießet bei dem erſten Schlag, ich bei dem zweiten.“ — „Warum nicht?“ verſetzte jener
Sie ſtellten ſich in den entgegengeſetzten Zimmer-Winkeln einander gegenüber — mit den Piſtolen in den Händen den Schlag halb zwölf Uhr erwartend. Der Spanier machte im ſtummen Horchen die Augen zu. Als Al¬ bano in dieſes geſchloſſene Büſten-Geſicht ſah, kam ihm vor, als könne an einem ſolchen We¬ ſen gar keine Sünde begangen werden, ge¬ ſchweige ein Todtſchlag. Plötzlich murmelten im leiſen Zimmer fünf Stimmen durcheinander, als kämen ſie von den alten Philoſophen-Bü¬ ſten an den Wänden; der Vater des Todes, der Kahlkopf, die Dohle ſchienen zu reden und eine unbekannte Stimme als ſey es der ſoge¬ nannte Finſtere. Sie ſagten unter einander: „Finſterer, nicht wahr, ich habe keine Wahr¬ heit geſagt? — Ich bringe fünf Thränen,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0465"n="453"/>
Der Spanier rüttelte beide um, und erſuchte<lb/>
Albano, mit dem Fuße auf eine zu treten zum<lb/>
Wahlzeichen. Es geſchah. „Wir ſchießen zu¬<lb/>
gleich, (ſagte der Oheim,) ſobald es die zwei<lb/>
Viertel ausſchlägt.“—„Nein, (ſagte Albano,)<lb/>ſchießet bei dem erſten Schlag, ich bei dem<lb/>
zweiten.“—„Warum nicht?“ verſetzte jener</p><lb/><p>Sie ſtellten ſich in den entgegengeſetzten<lb/>
Zimmer-Winkeln einander gegenüber — mit<lb/>
den Piſtolen in den Händen den Schlag halb<lb/>
zwölf Uhr erwartend. Der Spanier machte<lb/>
im ſtummen Horchen die Augen zu. Als Al¬<lb/>
bano in dieſes geſchloſſene Büſten-Geſicht ſah,<lb/>
kam ihm vor, als könne an einem ſolchen We¬<lb/>ſen gar keine Sünde begangen werden, ge¬<lb/>ſchweige ein Todtſchlag. Plötzlich murmelten<lb/>
im leiſen Zimmer fünf Stimmen durcheinander,<lb/>
als kämen ſie von den alten Philoſophen-Bü¬<lb/>ſten an den Wänden; der Vater des Todes,<lb/>
der Kahlkopf, die Dohle ſchienen zu reden und<lb/>
eine unbekannte Stimme als ſey es der ſoge¬<lb/>
nannte Finſtere. Sie ſagten unter einander:<lb/>„Finſterer, nicht wahr, ich habe keine Wahr¬<lb/>
heit geſagt? — Ich bringe fünf Thränen,<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[453/0465]
Der Spanier rüttelte beide um, und erſuchte
Albano, mit dem Fuße auf eine zu treten zum
Wahlzeichen. Es geſchah. „Wir ſchießen zu¬
gleich, (ſagte der Oheim,) ſobald es die zwei
Viertel ausſchlägt.“ — „Nein, (ſagte Albano,)
ſchießet bei dem erſten Schlag, ich bei dem
zweiten.“ — „Warum nicht?“ verſetzte jener
Sie ſtellten ſich in den entgegengeſetzten
Zimmer-Winkeln einander gegenüber — mit
den Piſtolen in den Händen den Schlag halb
zwölf Uhr erwartend. Der Spanier machte
im ſtummen Horchen die Augen zu. Als Al¬
bano in dieſes geſchloſſene Büſten-Geſicht ſah,
kam ihm vor, als könne an einem ſolchen We¬
ſen gar keine Sünde begangen werden, ge¬
ſchweige ein Todtſchlag. Plötzlich murmelten
im leiſen Zimmer fünf Stimmen durcheinander,
als kämen ſie von den alten Philoſophen-Bü¬
ſten an den Wänden; der Vater des Todes,
der Kahlkopf, die Dohle ſchienen zu reden und
eine unbekannte Stimme als ſey es der ſoge¬
nannte Finſtere. Sie ſagten unter einander:
„Finſterer, nicht wahr, ich habe keine Wahr¬
heit geſagt? — Ich bringe fünf Thränen,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803, S. 453. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/465>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.