die wiederholte Verwechslung seiner Person mit dem Todten auf die Vermuthung geleitet, hier müsse sein lang entbehrter Leibgeber wandeln, wiewohl er vor der ersten Erscheinung und Ver¬ gleichung sich fast fürchten müssen: "denn, H. Graf, (sagt' er,) Jahre und Geschäfte, juristi¬ sche vollends, ach das Leben selber ziehen den Menschen immer weiter herab, anfangs aus dem Äther in die Luft, dann aus der Luft auf der Erde -- Wird er mich kennen? sagt' ich. Ich bin ja nicht mehr der ich war und die phy¬ siognomische Ähnlichkeit möchte wohl die einzige und festeste noch geblieben seyn. Aber auch diese war vergangen; der Seelige sieht noch aus wie vor 10 Jahren. O nur eine freie See¬ le wird nicht alt! -- Herr Graf, ich war sonst ein Mann, der einen und den andern Spaß mit dem Leben trieb und mit dem To¬ de auch und ich konnte ausrufen: Himmel! wenn die Hölle aufgieng und derlei mehr -- -- Ach Leibgeber, Leibgeber! Die Zeit hat wei¬ che, kleine Wellen, aber am Ende wird doch der eckigste, schärfste Kiesel darin glatt und stumpf." --
die wiederholte Verwechslung ſeiner Perſon mit dem Todten auf die Vermuthung geleitet, hier müſſe ſein lang entbehrter Leibgeber wandeln, wiewohl er vor der erſten Erſcheinung und Ver¬ gleichung ſich faſt fürchten müſſen: „denn, H. Graf, (ſagt' er,) Jahre und Geſchäfte, juriſti¬ ſche vollends, ach das Leben ſelber ziehen den Menſchen immer weiter herab, anfangs aus dem Äther in die Luft, dann aus der Luft auf der Erde — Wird er mich kennen? ſagt' ich. Ich bin ja nicht mehr der ich war und die phy¬ ſiognomiſche Ähnlichkeit möchte wohl die einzige und feſteſte noch geblieben ſeyn. Aber auch dieſe war vergangen; der Seelige ſieht noch aus wie vor 10 Jahren. O nur eine freie See¬ le wird nicht alt! — Herr Graf, ich war ſonſt ein Mann, der einen und den andern Spaß mit dem Leben trieb und mit dem To¬ de auch und ich konnte ausrufen: Himmel! wenn die Hölle aufgieng und derlei mehr — — Ach Leibgeber, Leibgeber! Die Zeit hat wei¬ che, kleine Wellen, aber am Ende wird doch der eckigſte, ſchärfſte Kieſel darin glatt und ſtumpf.“ —
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die wiederholte Verwechslung ſeiner Perſon mit
dem Todten auf die Vermuthung geleitet, hier
müſſe ſein lang entbehrter Leibgeber wandeln,
wiewohl er vor der erſten Erſcheinung und Ver¬
gleichung ſich faſt fürchten müſſen: „denn, H.
Graf, (ſagt' er,) Jahre und Geſchäfte, juriſti¬
ſche vollends, ach das Leben ſelber ziehen den
Menſchen immer weiter herab, anfangs aus
dem Äther in die Luft, dann aus der Luft auf
der Erde — Wird er mich kennen? ſagt' ich.
Ich bin ja nicht mehr der ich war und die phy¬
ſiognomiſche Ähnlichkeit möchte wohl die einzige
und feſteſte noch geblieben ſeyn. Aber auch
dieſe war vergangen; der Seelige ſieht noch
aus wie vor 10 Jahren. O nur eine freie See¬
le wird nicht alt! — Herr Graf, ich war
ſonſt ein Mann, der einen und den andern
Spaß mit dem Leben trieb und mit dem To¬
de auch und ich konnte ausrufen: Himmel!
wenn die Hölle aufgieng und derlei mehr — —
Ach Leibgeber, Leibgeber! Die Zeit hat wei¬
che, kleine Wellen, aber am Ende wird doch
der eckigſte, ſchärfſte Kieſel darin glatt und
ſtumpf.“ —
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Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803, S. 514. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/526>, abgerufen am 22.11.2024.
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