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Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803.

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phaels krystallenem Zauberbecher getrunken,
dessen erste Züge nur kühlen, wenn die letzten
ein welsches Feuer durch alle Adern führen --
nachdem er den Bergstrom Michel Angelo's
bald als Katarakte, bald als Ätherspiegel ge¬
sehen -- nachdem er sich vor den letzten größten
Nachkommen Griechenlands gebeugt und ge¬
heiligt hatte, vor dessen Göttern, die mit ruhigem
heitern Antlitz in die unharmonische Welt her¬
einblicken und vor dem vatikanischen Sonnen¬
gott, welcher zürnt über die Prosa der Zeit,
über diese niedrige Pythonische Schlange, die
sich immer wieder verjüngt -- nachdem er lange
so vor dem Vollmond der Vergangenheit im
Glanze gestanden: so überzog sich auf einmal
seine ganze innere Welt und wurde ein einzi¬
ges Gewölk. Er suchte Einsamkeit -- er hörte
auf zu zeichnen und Musik zu treiben -- er
sprach wenig mehr von Roms Herrlichkeit --
Nachts, wo der tägliche Regen aufhörte, be¬
sucht' er allein die großen Trümmer der Erde,
das Forum, das Coliseo, das Kapitolium --
er wurde heftiger, ungeselliger, schärfer -- ein
tief eingesenkter Ernst waltete auf der hohen

phaels kryſtallenem Zauberbecher getrunken,
deſſen erſte Züge nur kühlen, wenn die letzten
ein welſches Feuer durch alle Adern führen —
nachdem er den Bergſtrom Michel Angelo's
bald als Katarakte, bald als Ätherſpiegel ge¬
ſehen — nachdem er ſich vor den letzten größten
Nachkommen Griechenlands gebeugt und ge¬
heiligt hatte, vor deſſen Göttern, die mit ruhigem
heitern Antlitz in die unharmoniſche Welt her¬
einblicken und vor dem vatikaniſchen Sonnen¬
gott, welcher zürnt über die Proſa der Zeit,
über dieſe niedrige Pythoniſche Schlange, die
ſich immer wieder verjüngt — nachdem er lange
ſo vor dem Vollmond der Vergangenheit im
Glanze geſtanden: ſo überzog ſich auf einmal
ſeine ganze innere Welt und wurde ein einzi¬
ges Gewölk. Er ſuchte Einſamkeit — er hörte
auf zu zeichnen und Muſik zu treiben — er
ſprach wenig mehr von Roms Herrlichkeit —
Nachts, wo der tägliche Regen aufhörte, be¬
ſucht' er allein die großen Trümmer der Erde,
das Forum, das Coliſeo, das Kapitolium —
er wurde heftiger, ungeſelliger, ſchärfer — ein
tief eingeſenkter Ernſt waltete auf der hohen

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[47/0059] phaels kryſtallenem Zauberbecher getrunken, deſſen erſte Züge nur kühlen, wenn die letzten ein welſches Feuer durch alle Adern führen — nachdem er den Bergſtrom Michel Angelo's bald als Katarakte, bald als Ätherſpiegel ge¬ ſehen — nachdem er ſich vor den letzten größten Nachkommen Griechenlands gebeugt und ge¬ heiligt hatte, vor deſſen Göttern, die mit ruhigem heitern Antlitz in die unharmoniſche Welt her¬ einblicken und vor dem vatikaniſchen Sonnen¬ gott, welcher zürnt über die Proſa der Zeit, über dieſe niedrige Pythoniſche Schlange, die ſich immer wieder verjüngt — nachdem er lange ſo vor dem Vollmond der Vergangenheit im Glanze geſtanden: ſo überzog ſich auf einmal ſeine ganze innere Welt und wurde ein einzi¬ ges Gewölk. Er ſuchte Einſamkeit — er hörte auf zu zeichnen und Muſik zu treiben — er ſprach wenig mehr von Roms Herrlichkeit — Nachts, wo der tägliche Regen aufhörte, be¬ ſucht' er allein die großen Trümmer der Erde, das Forum, das Coliſeo, das Kapitolium — er wurde heftiger, ungeſelliger, ſchärfer — ein tief eingeſenkter Ernſt waltete auf der hohen

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/59>, abgerufen am 21.11.2024.