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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Die Dravida oder Urbewohner Vorderindiens.
Westen hat sich die fünfte Dravidasprache, das Kannadi oder ca-
naresische, die Sprache Karnatas über 5 Millionen Köpfe ausge-
breitet. Nur mundartlich von ihm verschieden ist die Sprache der
Tuda, eines kleinen Stammes in den Nilagirigebirgen unter dem
11. Breitegrade. Ferner gehören noch zu den Dravidavölkern die
Gond in Gondwana und die Khond in Khondistan. Letztere waren
traurig berühmt wegen der Menschenopfer, die sie jährlich der
göttlich gedachten Erde darbrachten. Einem britischen Officier,
Capitain Campbell, gelang es jedoch, in der Zeit von 1837--1852
durch feierliche Verträge einen Stamm nach dem andern zur Ent-
sagung dieses grauenvollen Gottesdienstes zu vermögen 1).

Endlich schliessen sich noch an die Vorigen in Bengalen
südlich vom Ganga in dem Gebirgszuge bei Radschmahal die
Paharia an.

Alle diese Sprachen und Mundarten stehen sich geschwister-
lich nahe, während das Singhalesische oder Elu, welches auf
der südlichen Hälfte der Insel Ceylon im Innern herrscht, ihnen
fremdartig gegenüber tritt. Es hat nämlich weder die Fürwörter
noch die Flexionselemente mit den Dravidasprachen gemeinsam und
behauptet somit eine vereinzelte Stellung, wenn auch der Sprach-
typus sich nicht ändert, die Verbindung der einzelnen Satzglieder
vielmehr ganz ähnlich wie in jenen erfolgt 2). Somit besteht, zu-
mal sich die Körpermerkmale nicht ändern, keine Nöthigung, die
Singhalesen Ceylons zu einer besonderen Race zu erheben.

Die Dravidasprachen begrenzen den Sinn der Wurzel durch
angehängte Lautgruppen und beobachten dabei Gesetze der Laut-
harmonie 3), die von den Vocalen des Suffixes auf den Vocal der
Stammwurzel zurückwirkt, also umgekehrt sich äussert, wie in den
altaischen Sprachen. Wenn trotzdem wegen der übereinstimmen-
den Verfahrungsweise bei der Wortgestaltung die Dravidavölker
unter die Glieder einer "turanischen" Familie haben gezählt wer-

1) Er selbst erzählt uns alle Vorgänge in einem umfangreichen Werke,
Thirteen years service amongst the wild tribes of Khondistan by John Camp-
bell
, London 1864. Was er über den Frauenraub unter den Khond berichtet,
wurde bereits oben S. 235 mitgetheilt.
2) Fr. Müller, Reise der Fregatte Novara. Anthropologischer Theil.
Bd. 2. S. 218.
3) S. oben. S. 125.

Die Dravida oder Urbewohner Vorderindiens.
Westen hat sich die fünfte Dravidasprache, das Kannadi oder ca-
naresische, die Sprache Karnatas über 5 Millionen Köpfe ausge-
breitet. Nur mundartlich von ihm verschieden ist die Sprache der
Tuda, eines kleinen Stammes in den Nilagirigebirgen unter dem
11. Breitegrade. Ferner gehören noch zu den Dravidavölkern die
Gond in Gondwana und die Khond in Khondistan. Letztere waren
traurig berühmt wegen der Menschenopfer, die sie jährlich der
göttlich gedachten Erde darbrachten. Einem britischen Officier,
Capitain Campbell, gelang es jedoch, in der Zeit von 1837—1852
durch feierliche Verträge einen Stamm nach dem andern zur Ent-
sagung dieses grauenvollen Gottesdienstes zu vermögen 1).

Endlich schliessen sich noch an die Vorigen in Bengalen
südlich vom Ganga in dem Gebirgszuge bei Radschmahal die
Paharia an.

Alle diese Sprachen und Mundarten stehen sich geschwister-
lich nahe, während das Singhalesische oder Elu, welches auf
der südlichen Hälfte der Insel Ceylon im Innern herrscht, ihnen
fremdartig gegenüber tritt. Es hat nämlich weder die Fürwörter
noch die Flexionselemente mit den Dravidasprachen gemeinsam und
behauptet somit eine vereinzelte Stellung, wenn auch der Sprach-
typus sich nicht ändert, die Verbindung der einzelnen Satzglieder
vielmehr ganz ähnlich wie in jenen erfolgt 2). Somit besteht, zu-
mal sich die Körpermerkmale nicht ändern, keine Nöthigung, die
Singhalesen Ceylons zu einer besonderen Race zu erheben.

Die Dravidasprachen begrenzen den Sinn der Wurzel durch
angehängte Lautgruppen und beobachten dabei Gesetze der Laut-
harmonie 3), die von den Vocalen des Suffixes auf den Vocal der
Stammwurzel zurückwirkt, also umgekehrt sich äussert, wie in den
altaischen Sprachen. Wenn trotzdem wegen der übereinstimmen-
den Verfahrungsweise bei der Wortgestaltung die Dravidavölker
unter die Glieder einer „turanischen“ Familie haben gezählt wer-

1) Er selbst erzählt uns alle Vorgänge in einem umfangreichen Werke,
Thirteen years service amongst the wild tribes of Khondistan by John Camp-
bell
, London 1864. Was er über den Frauenraub unter den Khond berichtet,
wurde bereits oben S. 235 mitgetheilt.
2) Fr. Müller, Reise der Fregatte Novara. Anthropologischer Theil.
Bd. 2. S. 218.
3) S. oben. S. 125.
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[486/0504] Die Dravida oder Urbewohner Vorderindiens. Westen hat sich die fünfte Dravidasprache, das Kannadi oder ca- naresische, die Sprache Karnatas über 5 Millionen Köpfe ausge- breitet. Nur mundartlich von ihm verschieden ist die Sprache der Tuda, eines kleinen Stammes in den Nilagirigebirgen unter dem 11. Breitegrade. Ferner gehören noch zu den Dravidavölkern die Gond in Gondwana und die Khond in Khondistan. Letztere waren traurig berühmt wegen der Menschenopfer, die sie jährlich der göttlich gedachten Erde darbrachten. Einem britischen Officier, Capitain Campbell, gelang es jedoch, in der Zeit von 1837—1852 durch feierliche Verträge einen Stamm nach dem andern zur Ent- sagung dieses grauenvollen Gottesdienstes zu vermögen 1). Endlich schliessen sich noch an die Vorigen in Bengalen südlich vom Ganga in dem Gebirgszuge bei Radschmahal die Paharia an. Alle diese Sprachen und Mundarten stehen sich geschwister- lich nahe, während das Singhalesische oder Elu, welches auf der südlichen Hälfte der Insel Ceylon im Innern herrscht, ihnen fremdartig gegenüber tritt. Es hat nämlich weder die Fürwörter noch die Flexionselemente mit den Dravidasprachen gemeinsam und behauptet somit eine vereinzelte Stellung, wenn auch der Sprach- typus sich nicht ändert, die Verbindung der einzelnen Satzglieder vielmehr ganz ähnlich wie in jenen erfolgt 2). Somit besteht, zu- mal sich die Körpermerkmale nicht ändern, keine Nöthigung, die Singhalesen Ceylons zu einer besonderen Race zu erheben. Die Dravidasprachen begrenzen den Sinn der Wurzel durch angehängte Lautgruppen und beobachten dabei Gesetze der Laut- harmonie 3), die von den Vocalen des Suffixes auf den Vocal der Stammwurzel zurückwirkt, also umgekehrt sich äussert, wie in den altaischen Sprachen. Wenn trotzdem wegen der übereinstimmen- den Verfahrungsweise bei der Wortgestaltung die Dravidavölker unter die Glieder einer „turanischen“ Familie haben gezählt wer- 1) Er selbst erzählt uns alle Vorgänge in einem umfangreichen Werke, Thirteen years service amongst the wild tribes of Khondistan by John Camp- bell, London 1864. Was er über den Frauenraub unter den Khond berichtet, wurde bereits oben S. 235 mitgetheilt. 2) Fr. Müller, Reise der Fregatte Novara. Anthropologischer Theil. Bd. 2. S. 218. 3) S. oben. S. 125.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 486. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/504>, abgerufen am 23.12.2024.