Jäger nicht mehr, so pfeift er, nicht das Gekreisch des erschreckten Vogels. Er pfeift dann den mun- tern Laut der Freßlust bey der nahen Speise. Auf den Ruf des kühnern Fressers rücken dann die forchtsamern auch wieder an; und alle fressen Kirschen, als ob der Jäger keinen erschossen hätte.
So war es und kam es, daß die Stube jezt wieder voll war von Nachbaren, die gestern und heute Vormittags sich noch nicht getrauten zu kom- men.
Bey allem Bösen, und selbst bey Schelmentha- ten wird alles munter und muthig, wenn viel Volks bey einander ist, und wenn die, so den Ton geben, herzhaft und frech sind; und da das in den Wirths- häusern nie fehlt, so ist unstreitig, daß sie das ge- meine Volk zu allen Bosheiten und zu allen schlim- men Streichen frech und leichtsinnig genug zu bil- den und zu stimmen weit besser eingerichtet sind, als es die armen einfältigen Schulen sind, die Men- schen zu einem braven, stillen, wirthschaftlichen Leben zu bilden. Aber zur Historie.
Die Nachbaren im Wirthshause waren jezt alle wieder des Vogts Freunde, denn sie sassen bey sei- nem Wein. Da sprach der eine, wie der Vogt ein Mann sey, und wie ihn bey Gott! noch keiner gemeistert habe. Ein andrer, wie Arner ein Kind sey, und wie der Vogt seinen Großvater in Ord- nung gehalten habe. Ein andrer, wie es vor Gott
im
K
Jaͤger nicht mehr, ſo pfeift er, nicht das Gekreiſch des erſchreckten Vogels. Er pfeift dann den mun- tern Laut der Freßluſt bey der nahen Speiſe. Auf den Ruf des kuͤhnern Freſſers ruͤcken dann die forchtſamern auch wieder an; und alle freſſen Kirſchen, als ob der Jaͤger keinen erſchoſſen haͤtte.
So war es und kam es, daß die Stube jezt wieder voll war von Nachbaren, die geſtern und heute Vormittags ſich noch nicht getrauten zu kom- men.
Bey allem Boͤſen, und ſelbſt bey Schelmentha- ten wird alles munter und muthig, wenn viel Volks bey einander iſt, und wenn die, ſo den Ton geben, herzhaft und frech ſind; und da das in den Wirths- haͤuſern nie fehlt, ſo iſt unſtreitig, daß ſie das ge- meine Volk zu allen Bosheiten und zu allen ſchlim- men Streichen frech und leichtſinnig genug zu bil- den und zu ſtimmen weit beſſer eingerichtet ſind, als es die armen einfaͤltigen Schulen ſind, die Men- ſchen zu einem braven, ſtillen, wirthſchaftlichen Leben zu bilden. Aber zur Hiſtorie.
Die Nachbaren im Wirthshauſe waren jezt alle wieder des Vogts Freunde, denn ſie ſaſſen bey ſei- nem Wein. Da ſprach der eine, wie der Vogt ein Mann ſey, und wie ihn bey Gott! noch keiner gemeiſtert habe. Ein andrer, wie Arner ein Kind ſey, und wie der Vogt ſeinen Großvater in Ord- nung gehalten habe. Ein andrer, wie es vor Gott
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Jaͤger nicht mehr, ſo pfeift er, nicht das Gekreiſch
des erſchreckten Vogels. Er pfeift dann den mun-
tern Laut der Freßluſt bey der nahen Speiſe.
Auf den Ruf des kuͤhnern Freſſers ruͤcken dann
die forchtſamern auch wieder an; und alle freſſen
Kirſchen, als ob der Jaͤger keinen erſchoſſen haͤtte.
So war es und kam es, daß die Stube jezt
wieder voll war von Nachbaren, die geſtern und
heute Vormittags ſich noch nicht getrauten zu kom-
men.
Bey allem Boͤſen, und ſelbſt bey Schelmentha-
ten wird alles munter und muthig, wenn viel Volks
bey einander iſt, und wenn die, ſo den Ton geben,
herzhaft und frech ſind; und da das in den Wirths-
haͤuſern nie fehlt, ſo iſt unſtreitig, daß ſie das ge-
meine Volk zu allen Bosheiten und zu allen ſchlim-
men Streichen frech und leichtſinnig genug zu bil-
den und zu ſtimmen weit beſſer eingerichtet ſind,
als es die armen einfaͤltigen Schulen ſind, die Men-
ſchen zu einem braven, ſtillen, wirthſchaftlichen Leben
zu bilden. Aber zur Hiſtorie.
Die Nachbaren im Wirthshauſe waren jezt alle
wieder des Vogts Freunde, denn ſie ſaſſen bey ſei-
nem Wein. Da ſprach der eine, wie der Vogt
ein Mann ſey, und wie ihn bey Gott! noch keiner
gemeiſtert habe. Ein andrer, wie Arner ein Kind
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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781/170>, abgerufen am 24.11.2024.
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