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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781.

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und die Armen und die Wittwen und die Waisen
sind ihm lieb, und ihr seyd ihm ein Gräuel und
ein Abscheu, darum, daß ihr bös seyd und hart
mit den Armen.

Weh euch, die ihr euer Haus voll habt von
dem, was nicht euer ist.

Ob ihr gleich jauchzet beym Saufen des Weins,
der in den Reben des Armen gewachsen ist.

Ob ihr gleich lachet, wenn elende hungernde
Menschen ihr Korn mit Seufzen in eure Säcke
ausschütten.

Ob ihr gleich spöttelt und scherzet, wenn euer
Unterdrückte sich vor euch wie ein Wurm windet,
und den zehnten Theil eures Raubs von euch wie-
der um Gottes willen auf Borg bittet; ob ihr
euch gleich gegen alles das verhärtet, so ist es euch
doch keine Stunde wohl in eurem Herzen.

Nein, es ist dem Menschen nicht wohl auf Got-
tes Erdboden, der den Armen aussaugt.

Mög er seyn, wer er will, mög er über alle
Gefahr, über alle Verantwortung und über alle
Strafe auf der Erde hinaus seyn.

Mög er so gar Richter im Lande seyn, und
Elende, die besser, als er, sind, mit seiner Hand
gefangen nehmen und mit seinem Munde anklagen.

Mög er so gar sitzen und richten selber über sie,
auf Leben und Tod, und sprechen das Urtheil auf
Schwerdt und Rad.

Er
N 3

und die Armen und die Wittwen und die Waiſen
ſind ihm lieb, und ihr ſeyd ihm ein Graͤuel und
ein Abſcheu, darum, daß ihr boͤs ſeyd und hart
mit den Armen.

Weh euch, die ihr euer Haus voll habt von
dem, was nicht euer iſt.

Ob ihr gleich jauchzet beym Saufen des Weins,
der in den Reben des Armen gewachſen iſt.

Ob ihr gleich lachet, wenn elende hungernde
Menſchen ihr Korn mit Seufzen in eure Saͤcke
ausſchuͤtten.

Ob ihr gleich ſpoͤttelt und ſcherzet, wenn euer
Unterdruͤckte ſich vor euch wie ein Wurm windet,
und den zehnten Theil eures Raubs von euch wie-
der um Gottes willen auf Borg bittet; ob ihr
euch gleich gegen alles das verhaͤrtet, ſo iſt es euch
doch keine Stunde wohl in eurem Herzen.

Nein, es iſt dem Menſchen nicht wohl auf Got-
tes Erdboden, der den Armen ausſaugt.

Moͤg er ſeyn, wer er will, moͤg er uͤber alle
Gefahr, uͤber alle Verantwortung und uͤber alle
Strafe auf der Erde hinaus ſeyn.

Moͤg er ſo gar Richter im Lande ſeyn, und
Elende, die beſſer, als er, ſind, mit ſeiner Hand
gefangen nehmen und mit ſeinem Munde anklagen.

Moͤg er ſo gar ſitzen und richten ſelber uͤber ſie,
auf Leben und Tod, und ſprechen das Urtheil auf
Schwerdt und Rad.

Er
N 3
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[197/0222] und die Armen und die Wittwen und die Waiſen ſind ihm lieb, und ihr ſeyd ihm ein Graͤuel und ein Abſcheu, darum, daß ihr boͤs ſeyd und hart mit den Armen. Weh euch, die ihr euer Haus voll habt von dem, was nicht euer iſt. Ob ihr gleich jauchzet beym Saufen des Weins, der in den Reben des Armen gewachſen iſt. Ob ihr gleich lachet, wenn elende hungernde Menſchen ihr Korn mit Seufzen in eure Saͤcke ausſchuͤtten. Ob ihr gleich ſpoͤttelt und ſcherzet, wenn euer Unterdruͤckte ſich vor euch wie ein Wurm windet, und den zehnten Theil eures Raubs von euch wie- der um Gottes willen auf Borg bittet; ob ihr euch gleich gegen alles das verhaͤrtet, ſo iſt es euch doch keine Stunde wohl in eurem Herzen. Nein, es iſt dem Menſchen nicht wohl auf Got- tes Erdboden, der den Armen ausſaugt. Moͤg er ſeyn, wer er will, moͤg er uͤber alle Gefahr, uͤber alle Verantwortung und uͤber alle Strafe auf der Erde hinaus ſeyn. Moͤg er ſo gar Richter im Lande ſeyn, und Elende, die beſſer, als er, ſind, mit ſeiner Hand gefangen nehmen und mit ſeinem Munde anklagen. Moͤg er ſo gar ſitzen und richten ſelber uͤber ſie, auf Leben und Tod, und ſprechen das Urtheil auf Schwerdt und Rad. Er N 3

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Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781/222>, abgerufen am 21.11.2024.