Gott im Himmel sieht die Thränen der Elen- den -- und setzt ihrem Jammer ein Ziel.
Gertrud fand in ihren Thränen Gottes Erbar- men! -- Gottes Erbarmen führte den Lienhard zu diesem Anblick, der seine Seele durchdrang, -- daß seine Glieder bebeten. Todesblässe stieg in sein Antlitz -- und schnell und gebrochen konnte er kaum sagen -- Herr JEsus! was ist das? Da erst sah ihn die Mutter, da erst sahn ihn die Kin- der, und der laute Ausbruch der Klage verlohr sich -- O Mutter! der Vater ist da! riefen die Kinder aus einem Munde; und selbst der Säugling weinte nicht mehr --
So wie wenn ein Waldbach oder eine verhee- rende Flamme nun nachläßt -- so verliert sich auch das wilde Entsetzen, und wird stille, bedächtliche Sorge. --
Gertrud liebte den Lienhard -- und seine Ge- genwart war ihr auch im tiefsten Jammer Erqui- ckung -- und auch Lienharden verließ jezt das erste bange Entsetzen --
Was ist, Gertrud! sagte er zu ihr, dieser er- schreckliche Jammer, in dem ich dich antraf?
O mein Lieber! erwiederte Gertrud -- finstre Sorgen umhüllen mein Herz -- und wenn du weg bist, so nagt mich mein Kummer noch tiefer --
Gertrud, erwiederte Lienhard, ich weiß, was du weinest -- ich Elender!
Da
Gott im Himmel ſieht die Thraͤnen der Elen- den — und ſetzt ihrem Jammer ein Ziel.
Gertrud fand in ihren Thraͤnen Gottes Erbar- men! — Gottes Erbarmen fuͤhrte den Lienhard zu dieſem Anblick, der ſeine Seele durchdrang, — daß ſeine Glieder bebeten. Todesblaͤſſe ſtieg in ſein Antlitz — und ſchnell und gebrochen konnte er kaum ſagen — Herr JEſus! was iſt das? Da erſt ſah ihn die Mutter, da erſt ſahn ihn die Kin- der, und der laute Ausbruch der Klage verlohr ſich — O Mutter! der Vater iſt da! riefen die Kinder aus einem Munde; und ſelbſt der Saͤugling weinte nicht mehr —
So wie wenn ein Waldbach oder eine verhee- rende Flamme nun nachlaͤßt — ſo verliert ſich auch das wilde Entſetzen, und wird ſtille, bedaͤchtliche Sorge. —
Gertrud liebte den Lienhard — und ſeine Ge- genwart war ihr auch im tiefſten Jammer Erqui- ckung — und auch Lienharden verließ jezt das erſte bange Entſetzen —
Was iſt, Gertrud! ſagte er zu ihr, dieſer er- ſchreckliche Jammer, in dem ich dich antraf?
O mein Lieber! erwiederte Gertrud — finſtre Sorgen umhuͤllen mein Herz — und wenn du weg biſt, ſo nagt mich mein Kummer noch tiefer —
Gertrud, erwiederte Lienhard, ich weiß, was du weineſt — ich Elender!
Da
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Gott im Himmel ſieht die Thraͤnen der Elen-
den — und ſetzt ihrem Jammer ein Ziel.
Gertrud fand in ihren Thraͤnen Gottes Erbar-
men! — Gottes Erbarmen fuͤhrte den Lienhard zu
dieſem Anblick, der ſeine Seele durchdrang, —
daß ſeine Glieder bebeten. Todesblaͤſſe ſtieg in
ſein Antlitz — und ſchnell und gebrochen konnte er
kaum ſagen — Herr JEſus! was iſt das? Da
erſt ſah ihn die Mutter, da erſt ſahn ihn die Kin-
der, und der laute Ausbruch der Klage verlohr
ſich — O Mutter! der Vater iſt da! riefen die
Kinder aus einem Munde; und ſelbſt der Saͤugling
weinte nicht mehr —
So wie wenn ein Waldbach oder eine verhee-
rende Flamme nun nachlaͤßt — ſo verliert ſich auch
das wilde Entſetzen, und wird ſtille, bedaͤchtliche
Sorge. —
Gertrud liebte den Lienhard — und ſeine Ge-
genwart war ihr auch im tiefſten Jammer Erqui-
ckung — und auch Lienharden verließ jezt das erſte
bange Entſetzen —
Was iſt, Gertrud! ſagte er zu ihr, dieſer er-
ſchreckliche Jammer, in dem ich dich antraf?
O mein Lieber! erwiederte Gertrud — finſtre
Sorgen umhuͤllen mein Herz — und wenn du weg
biſt, ſo nagt mich mein Kummer noch tiefer —
Gertrud, erwiederte Lienhard, ich weiß, was du
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Da
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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781/29>, abgerufen am 21.11.2024.
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