Was willst du, meine Tochter? wer bist du? sagte er so liebreich, daß sie Muth fassete zu re- den --
Ich bin Gertrud, sagte sie -- das Weib des Mäurer Lienhards von Bonnal.
Du bist ein braves Weib, sagte Arner. Ich habe deine Kind vor allen andern im Dorf aus- gezeichnet -- Sie sind sittsamer und bescheidener als alle übrigen Kinder, und sie scheinen besser ge- nährt -- und doch, höre ich, seyd ihr sehr arm -- Was willst du, meine Tochter?
O Gnädiger Herr! mein Mann ist längst dem Vogt Hummel dreyßig Gulden schuldig -- und das ist ein harter Mann -- Er verführt ihn zum Spiel und zu aller Verschwendung -- Und da er ihn fürch- ten muß, so darf er sein Wirthshaus nicht mei- den; wenn er schon fast alle Tage sein Verdienst und das Brod seiner Kinder darinn zurück lassen muß. Gnädiger Herr! es sind sieben unerzogene Kin- der. Und ohne Hülf und ohne Rath gegen den Vogt ist's unmöglich, daß wir nicht an Bettelstab gera- then; Und ich weiß, daß Sie sich der Wittwen und der Waisen erbarmen, und darum durfte ich es wagen, zu Ihnen zu gehn, und Ihnen unser Unglück zu sagen. Ich habe aller meiner Kinder Spargeld bey mir -- in der Absicht, es Ihnen zu hinterlegen, damit ich Sie bitten dörfe, Verfügun- gen zu treffen, daß der Vogt meinen Mann, bis
er
Was willſt du, meine Tochter? wer biſt du? ſagte er ſo liebreich, daß ſie Muth faſſete zu re- den —
Ich bin Gertrud, ſagte ſie — das Weib des Maͤurer Lienhards von Bonnal.
Du biſt ein braves Weib, ſagte Arner. Ich habe deine Kind vor allen andern im Dorf aus- gezeichnet — Sie ſind ſittſamer und beſcheidener als alle uͤbrigen Kinder, und ſie ſcheinen beſſer ge- naͤhrt — und doch, hoͤre ich, ſeyd ihr ſehr arm — Was willſt du, meine Tochter?
O Gnaͤdiger Herr! mein Mann iſt laͤngſt dem Vogt Hummel dreyßig Gulden ſchuldig — und das iſt ein harter Mann — Er verfuͤhrt ihn zum Spiel und zu aller Verſchwendung — Und da er ihn fuͤrch- ten muß, ſo darf er ſein Wirthshaus nicht mei- den; wenn er ſchon faſt alle Tage ſein Verdienſt und das Brod ſeiner Kinder darinn zuruͤck laſſen muß. Gnaͤdiger Herr! es ſind ſieben unerzogene Kin- der. Und ohne Huͤlf und ohne Rath gegen den Vogt iſt’s unmoͤglich, daß wir nicht an Bettelſtab gera- then; Und ich weiß, daß Sie ſich der Wittwen und der Waiſen erbarmen, und darum durfte ich es wagen, zu Ihnen zu gehn, und Ihnen unſer Ungluͤck zu ſagen. Ich habe aller meiner Kinder Spargeld bey mir — in der Abſicht, es Ihnen zu hinterlegen, damit ich Sie bitten doͤrfe, Verfuͤgun- gen zu treffen, daß der Vogt meinen Mann, bis
er
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Was willſt du, meine Tochter? wer biſt du?
ſagte er ſo liebreich, daß ſie Muth faſſete zu re-
den —
Ich bin Gertrud, ſagte ſie — das Weib des
Maͤurer Lienhards von Bonnal.
Du biſt ein braves Weib, ſagte Arner. Ich
habe deine Kind vor allen andern im Dorf aus-
gezeichnet — Sie ſind ſittſamer und beſcheidener
als alle uͤbrigen Kinder, und ſie ſcheinen beſſer ge-
naͤhrt — und doch, hoͤre ich, ſeyd ihr ſehr arm —
Was willſt du, meine Tochter?
O Gnaͤdiger Herr! mein Mann iſt laͤngſt dem
Vogt Hummel dreyßig Gulden ſchuldig — und das
iſt ein harter Mann — Er verfuͤhrt ihn zum Spiel
und zu aller Verſchwendung — Und da er ihn fuͤrch-
ten muß, ſo darf er ſein Wirthshaus nicht mei-
den; wenn er ſchon faſt alle Tage ſein Verdienſt
und das Brod ſeiner Kinder darinn zuruͤck laſſen
muß. Gnaͤdiger Herr! es ſind ſieben unerzogene Kin-
der. Und ohne Huͤlf und ohne Rath gegen den Vogt
iſt’s unmoͤglich, daß wir nicht an Bettelſtab gera-
then; Und ich weiß, daß Sie ſich der Wittwen
und der Waiſen erbarmen, und darum durfte ich
es wagen, zu Ihnen zu gehn, und Ihnen unſer
Ungluͤck zu ſagen. Ich habe aller meiner Kinder
Spargeld bey mir — in der Abſicht, es Ihnen zu
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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781/35>, abgerufen am 21.11.2024.
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