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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781.

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Nickel. Nein! ich weiß wohl, daß du den
Handel gewonnen hast; aber auch wie!

Vogt. Vielleicht, vielleicht nicht.

Nickel. Behüte Gott alle Menschen, die arm
sind vor der Feder.

Vogt. Du hast recht. Es sollten nur Ehren-
leute und wohlhabende Männer schreiben dürfen,
vor Audienz. Das wär gewiß gut; aber es wäre
noch mehr gut, Nickel! Was machen? man muß
eben mit allem zufrieden seyn, wie es ist.

Nickel. Vogt; dein weiser Spruch da mah-
net mich an eine Fabel die ich von einem Pilgrim
hörte. Es war einer aus dem Elsaß. Er er-
zählte vor einem ganzen Tisch Leute: Es habe
ein Einsiedler in einem Fabelbuch die ganze Welt
abgemahlt, und er könne das Buch fast aus-
wendig. Da baten wir ihn, er solle uns auch ei-
ne von diesen Fabeln erzählen, und da erzählte
er uns eben die, an die du mich mahnest.

Vogt. Nun was ist sie denn, du Plauderer? --

Nickel. Sie heißt -- ich kann sie zum Glück
noch --

"Es klagte und jammerte das Schaf, daß
"der Wolf, der Fuchs, der Hund und der Metz-
"ger es so schrecklich quälten -- Ein Fuchs, der
"eben vor dem Stall stuhnd, hörte die Klage --
"und sagte zum Schaf: Man muß immer zufrie-
"den seyn mit der weisen Ordnung, die in der Welt

"ist --

Nickel. Nein! ich weiß wohl, daß du den
Handel gewonnen haſt; aber auch wie!

Vogt. Vielleicht, vielleicht nicht.

Nickel. Behuͤte Gott alle Menſchen, die arm
ſind vor der Feder.

Vogt. Du haſt recht. Es ſollten nur Ehren-
leute und wohlhabende Maͤnner ſchreiben duͤrfen,
vor Audienz. Das waͤr gewiß gut; aber es waͤre
noch mehr gut, Nickel! Was machen? man muß
eben mit allem zufrieden ſeyn, wie es iſt.

Nickel. Vogt; dein weiſer Spruch da mah-
net mich an eine Fabel die ich von einem Pilgrim
hoͤrte. Es war einer aus dem Elſaß. Er er-
zaͤhlte vor einem ganzen Tiſch Leute: Es habe
ein Einſiedler in einem Fabelbuch die ganze Welt
abgemahlt, und er koͤnne das Buch faſt aus-
wendig. Da baten wir ihn, er ſolle uns auch ei-
ne von dieſen Fabeln erzaͤhlen, und da erzaͤhlte
er uns eben die, an die du mich mahneſt.

Vogt. Nun was iſt ſie denn, du Plauderer? —

Nickel. Sie heißt — ich kann ſie zum Gluͤck
noch —

“Es klagte und jammerte das Schaf, daß
„der Wolf, der Fuchs, der Hund und der Metz-
„ger es ſo ſchrecklich quaͤlten — Ein Fuchs, der
„eben vor dem Stall ſtuhnd, hoͤrte die Klage —
„und ſagte zum Schaf: Man muß immer zufrie-
„den ſeyn mit der weiſen Ordnung, die in der Welt

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[42/0065] Nickel. Nein! ich weiß wohl, daß du den Handel gewonnen haſt; aber auch wie! Vogt. Vielleicht, vielleicht nicht. Nickel. Behuͤte Gott alle Menſchen, die arm ſind vor der Feder. Vogt. Du haſt recht. Es ſollten nur Ehren- leute und wohlhabende Maͤnner ſchreiben duͤrfen, vor Audienz. Das waͤr gewiß gut; aber es waͤre noch mehr gut, Nickel! Was machen? man muß eben mit allem zufrieden ſeyn, wie es iſt. Nickel. Vogt; dein weiſer Spruch da mah- net mich an eine Fabel die ich von einem Pilgrim hoͤrte. Es war einer aus dem Elſaß. Er er- zaͤhlte vor einem ganzen Tiſch Leute: Es habe ein Einſiedler in einem Fabelbuch die ganze Welt abgemahlt, und er koͤnne das Buch faſt aus- wendig. Da baten wir ihn, er ſolle uns auch ei- ne von dieſen Fabeln erzaͤhlen, und da erzaͤhlte er uns eben die, an die du mich mahneſt. Vogt. Nun was iſt ſie denn, du Plauderer? — Nickel. Sie heißt — ich kann ſie zum Gluͤck noch — “Es klagte und jammerte das Schaf, daß „der Wolf, der Fuchs, der Hund und der Metz- „ger es ſo ſchrecklich quaͤlten — Ein Fuchs, der „eben vor dem Stall ſtuhnd, hoͤrte die Klage — „und ſagte zum Schaf: Man muß immer zufrie- „den ſeyn mit der weiſen Ordnung, die in der Welt „iſt —

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Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781/65>, abgerufen am 25.11.2024.