Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783.

Bild:
<< vorherige Seite

du hast dich diesen Vormittag beym Brun-
nen gegen die Vögtin aufgeführt, daß nicht
ein Pfarrer, sonder ein Kerl mit der Hunds-
peitsche mit dir reden sollte; ich habe dich
hundertmal in der Kirche und auf der Stra-
ße mit meinen Augen vor dem Vogt büken
und schmiegen gesehen, wie ein Hund --
und izt, da er im Unglük ist, und seine Frau
in der tiefsten Betrübniß, strekst du auf off-
ner Straße die Zunge gegen ihr heraus, u.
brauchst dein Maul, sie mit den unverschäm-
testen Bosheiten und Lügen zu kränken." --
Aber der Kriecher wollte noch recht haben,
und antwortete, man lüge über ihn, und es
sey nicht wahr -- er sey ein unglüklicher
Mann, wenn einer, der ab dem Galgen ge-
fallen, etwas über ihn sage, so glaube mans
ihm. -- Der Pfarrer kam darüber in Ei-
fer, daß ich ihn mein Lebtag nie so gesehen,
und ihn nie solche Worte brauchen gehört;
er sagte ihm: "Du Lumpenhund, du Spiz-
bub, du must wissen, daß ich weiß, was
ich rede; du hasts nicht nur gethan, sonder
du hast noch bey den Taglöhnern auf dem
Kirchhof den Spaß darob getrieben, daß du
es gethan; aber izt fort, fort, und ab Au-
gen, und dank Gott, daß mir mein Amt u.
mein Alter verbieten, den Stok, den ich in
Händen habe, zu brauchen, wie ich izt

wünsch-
H 2

du haſt dich dieſen Vormittag beym Brun-
nen gegen die Voͤgtin aufgefuͤhrt, daß nicht
ein Pfarrer, ſonder ein Kerl mit der Hunds-
peitſche mit dir reden ſollte; ich habe dich
hundertmal in der Kirche und auf der Stra-
ße mit meinen Augen vor dem Vogt buͤken
und ſchmiegen geſehen, wie ein Hund —
und izt, da er im Ungluͤk iſt, und ſeine Frau
in der tiefſten Betruͤbniß, ſtrekſt du auf off-
ner Straße die Zunge gegen ihr heraus, u.
brauchſt dein Maul, ſie mit den unverſchaͤm-
teſten Bosheiten und Luͤgen zu kraͤnken.“ —
Aber der Kriecher wollte noch recht haben,
und antwortete, man luͤge uͤber ihn, und es
ſey nicht wahr — er ſey ein ungluͤklicher
Mann, wenn einer, der ab dem Galgen ge-
fallen, etwas uͤber ihn ſage, ſo glaube mans
ihm. — Der Pfarrer kam daruͤber in Ei-
fer, daß ich ihn mein Lebtag nie ſo geſehen,
und ihn nie ſolche Worte brauchen gehoͤrt;
er ſagte ihm: „Du Lumpenhund, du Spiz-
bub, du muſt wiſſen, daß ich weiß, was
ich rede; du haſts nicht nur gethan, ſonder
du haſt noch bey den Tagloͤhnern auf dem
Kirchhof den Spaß darob getrieben, daß du
es gethan; aber izt fort, fort, und ab Au-
gen, und dank Gott, daß mir mein Amt u.
mein Alter verbieten, den Stok, den ich in
Haͤnden habe, zu brauchen, wie ich izt

wuͤnſch-
H 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0133" n="115"/>
du ha&#x017F;t dich die&#x017F;en Vormittag beym Brun-<lb/>
nen gegen die Vo&#x0364;gtin aufgefu&#x0364;hrt, daß nicht<lb/>
ein Pfarrer, &#x017F;onder ein Kerl mit der Hunds-<lb/>
peit&#x017F;che mit dir reden &#x017F;ollte; ich habe dich<lb/>
hundertmal in der Kirche und auf der Stra-<lb/>
ße mit meinen Augen vor dem Vogt bu&#x0364;ken<lb/>
und &#x017F;chmiegen ge&#x017F;ehen, wie ein Hund &#x2014;<lb/>
und izt, da er im Unglu&#x0364;k i&#x017F;t, und &#x017F;eine Frau<lb/>
in der tief&#x017F;ten Betru&#x0364;bniß, &#x017F;trek&#x017F;t du auf off-<lb/>
ner Straße die Zunge gegen ihr heraus, u.<lb/>
brauch&#x017F;t dein Maul, &#x017F;ie mit den unver&#x017F;cha&#x0364;m-<lb/>
te&#x017F;ten Bosheiten und Lu&#x0364;gen zu kra&#x0364;nken.&#x201C; &#x2014;<lb/>
Aber der Kriecher wollte noch recht haben,<lb/>
und antwortete, man lu&#x0364;ge u&#x0364;ber ihn, und es<lb/>
&#x017F;ey nicht wahr &#x2014; er &#x017F;ey ein unglu&#x0364;klicher<lb/>
Mann, wenn einer, der ab dem Galgen ge-<lb/>
fallen, etwas u&#x0364;ber ihn &#x017F;age, &#x017F;o glaube mans<lb/>
ihm. &#x2014; Der Pfarrer kam daru&#x0364;ber in Ei-<lb/>
fer, daß ich ihn mein Lebtag nie &#x017F;o ge&#x017F;ehen,<lb/>
und ihn nie &#x017F;olche Worte brauchen geho&#x0364;rt;<lb/>
er &#x017F;agte ihm: &#x201E;Du Lumpenhund, du Spiz-<lb/>
bub, du mu&#x017F;t wi&#x017F;&#x017F;en, daß ich weiß, was<lb/>
ich rede; du ha&#x017F;ts nicht nur gethan, &#x017F;onder<lb/>
du ha&#x017F;t noch bey den Taglo&#x0364;hnern auf dem<lb/>
Kirchhof den Spaß darob getrieben, daß du<lb/>
es gethan; aber izt fort, fort, und ab Au-<lb/>
gen, und dank Gott, daß mir mein Amt u.<lb/>
mein Alter verbieten, den Stok, den ich in<lb/>
Ha&#x0364;nden habe, zu brauchen, wie ich izt<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">H 2</fw><fw place="bottom" type="catch">wu&#x0364;n&#x017F;ch-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[115/0133] du haſt dich dieſen Vormittag beym Brun- nen gegen die Voͤgtin aufgefuͤhrt, daß nicht ein Pfarrer, ſonder ein Kerl mit der Hunds- peitſche mit dir reden ſollte; ich habe dich hundertmal in der Kirche und auf der Stra- ße mit meinen Augen vor dem Vogt buͤken und ſchmiegen geſehen, wie ein Hund — und izt, da er im Ungluͤk iſt, und ſeine Frau in der tiefſten Betruͤbniß, ſtrekſt du auf off- ner Straße die Zunge gegen ihr heraus, u. brauchſt dein Maul, ſie mit den unverſchaͤm- teſten Bosheiten und Luͤgen zu kraͤnken.“ — Aber der Kriecher wollte noch recht haben, und antwortete, man luͤge uͤber ihn, und es ſey nicht wahr — er ſey ein ungluͤklicher Mann, wenn einer, der ab dem Galgen ge- fallen, etwas uͤber ihn ſage, ſo glaube mans ihm. — Der Pfarrer kam daruͤber in Ei- fer, daß ich ihn mein Lebtag nie ſo geſehen, und ihn nie ſolche Worte brauchen gehoͤrt; er ſagte ihm: „Du Lumpenhund, du Spiz- bub, du muſt wiſſen, daß ich weiß, was ich rede; du haſts nicht nur gethan, ſonder du haſt noch bey den Tagloͤhnern auf dem Kirchhof den Spaß darob getrieben, daß du es gethan; aber izt fort, fort, und ab Au- gen, und dank Gott, daß mir mein Amt u. mein Alter verbieten, den Stok, den ich in Haͤnden habe, zu brauchen, wie ich izt wuͤnſch- H 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard02_1783
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard02_1783/133
Zitationshilfe: Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard02_1783/133>, abgerufen am 25.05.2024.