du hast dich diesen Vormittag beym Brun- nen gegen die Vögtin aufgeführt, daß nicht ein Pfarrer, sonder ein Kerl mit der Hunds- peitsche mit dir reden sollte; ich habe dich hundertmal in der Kirche und auf der Stra- ße mit meinen Augen vor dem Vogt büken und schmiegen gesehen, wie ein Hund -- und izt, da er im Unglük ist, und seine Frau in der tiefsten Betrübniß, strekst du auf off- ner Straße die Zunge gegen ihr heraus, u. brauchst dein Maul, sie mit den unverschäm- testen Bosheiten und Lügen zu kränken." -- Aber der Kriecher wollte noch recht haben, und antwortete, man lüge über ihn, und es sey nicht wahr -- er sey ein unglüklicher Mann, wenn einer, der ab dem Galgen ge- fallen, etwas über ihn sage, so glaube mans ihm. -- Der Pfarrer kam darüber in Ei- fer, daß ich ihn mein Lebtag nie so gesehen, und ihn nie solche Worte brauchen gehört; er sagte ihm: "Du Lumpenhund, du Spiz- bub, du must wissen, daß ich weiß, was ich rede; du hasts nicht nur gethan, sonder du hast noch bey den Taglöhnern auf dem Kirchhof den Spaß darob getrieben, daß du es gethan; aber izt fort, fort, und ab Au- gen, und dank Gott, daß mir mein Amt u. mein Alter verbieten, den Stok, den ich in Händen habe, zu brauchen, wie ich izt
wünsch-
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du haſt dich dieſen Vormittag beym Brun- nen gegen die Voͤgtin aufgefuͤhrt, daß nicht ein Pfarrer, ſonder ein Kerl mit der Hunds- peitſche mit dir reden ſollte; ich habe dich hundertmal in der Kirche und auf der Stra- ße mit meinen Augen vor dem Vogt buͤken und ſchmiegen geſehen, wie ein Hund — und izt, da er im Ungluͤk iſt, und ſeine Frau in der tiefſten Betruͤbniß, ſtrekſt du auf off- ner Straße die Zunge gegen ihr heraus, u. brauchſt dein Maul, ſie mit den unverſchaͤm- teſten Bosheiten und Luͤgen zu kraͤnken.“ — Aber der Kriecher wollte noch recht haben, und antwortete, man luͤge uͤber ihn, und es ſey nicht wahr — er ſey ein ungluͤklicher Mann, wenn einer, der ab dem Galgen ge- fallen, etwas uͤber ihn ſage, ſo glaube mans ihm. — Der Pfarrer kam daruͤber in Ei- fer, daß ich ihn mein Lebtag nie ſo geſehen, und ihn nie ſolche Worte brauchen gehoͤrt; er ſagte ihm: „Du Lumpenhund, du Spiz- bub, du muſt wiſſen, daß ich weiß, was ich rede; du haſts nicht nur gethan, ſonder du haſt noch bey den Tagloͤhnern auf dem Kirchhof den Spaß darob getrieben, daß du es gethan; aber izt fort, fort, und ab Au- gen, und dank Gott, daß mir mein Amt u. mein Alter verbieten, den Stok, den ich in Haͤnden habe, zu brauchen, wie ich izt
wuͤnſch-
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du haſt dich dieſen Vormittag beym Brun-
nen gegen die Voͤgtin aufgefuͤhrt, daß nicht
ein Pfarrer, ſonder ein Kerl mit der Hunds-
peitſche mit dir reden ſollte; ich habe dich
hundertmal in der Kirche und auf der Stra-
ße mit meinen Augen vor dem Vogt buͤken
und ſchmiegen geſehen, wie ein Hund —
und izt, da er im Ungluͤk iſt, und ſeine Frau
in der tiefſten Betruͤbniß, ſtrekſt du auf off-
ner Straße die Zunge gegen ihr heraus, u.
brauchſt dein Maul, ſie mit den unverſchaͤm-
teſten Bosheiten und Luͤgen zu kraͤnken.“ —
Aber der Kriecher wollte noch recht haben,
und antwortete, man luͤge uͤber ihn, und es
ſey nicht wahr — er ſey ein ungluͤklicher
Mann, wenn einer, der ab dem Galgen ge-
fallen, etwas uͤber ihn ſage, ſo glaube mans
ihm. — Der Pfarrer kam daruͤber in Ei-
fer, daß ich ihn mein Lebtag nie ſo geſehen,
und ihn nie ſolche Worte brauchen gehoͤrt;
er ſagte ihm: „Du Lumpenhund, du Spiz-
bub, du muſt wiſſen, daß ich weiß, was
ich rede; du haſts nicht nur gethan, ſonder
du haſt noch bey den Tagloͤhnern auf dem
Kirchhof den Spaß darob getrieben, daß du
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Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard02_1783/133>, abgerufen am 21.11.2024.
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