Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>

Er ließ so gar auch den Vogt noch eine
Weile vor sich kommen, und der Renold
drükte ihm freundlich die Hand, und trö-
stete und ermunterte ihn. Das that auch
der Junker und der Pfarrer.

Da es bald drey Uhr werden wollte,
bath der Renold den Junker, er möchte
doch den Sechszehn das Looswerffen schen-
ken, oder eher ihn auch unter sie stellen,
damit sie keinen Groll gegen ihn fassen.

Auch der Vogt bath für sie, und sagte
die merkwürdigen Worte: "Sie sind izt zu
ihrer Straffe nicht vorbereitet wie ich, und
werden darob nur wüthend werden."

Der Junker staunte einen Augenblik,
was er thun wollte, dann sagte er: "Jch
wills ihnen auf euer Fürwort schenken."
Und der Renold und der Vogt dankten ihm
herzlich.

Ueber diese Zeit hatte er sein Essen bey-
nahe ganz vergessen; er war beladen vom
Gefühl des Guten, das im Jnnern der
Menschen, die so tief gefallen waren, noch
steke, und nahm den Pfarrer bey der Hand,
gieng noch einen Augenblik mit ihm in den
Garten; sie redeten noch mit einander, wie
gleich die Menschen einander seyen, und wie
leicht der beste werden könne was der schlimm-

ste,

Er ließ ſo gar auch den Vogt noch eine
Weile vor ſich kommen, und der Renold
druͤkte ihm freundlich die Hand, und troͤ-
ſtete und ermunterte ihn. Das that auch
der Junker und der Pfarrer.

Da es bald drey Uhr werden wollte,
bath der Renold den Junker, er moͤchte
doch den Sechszehn das Looswerffen ſchen-
ken, oder eher ihn auch unter ſie ſtellen,
damit ſie keinen Groll gegen ihn faſſen.

Auch der Vogt bath fuͤr ſie, und ſagte
die merkwuͤrdigen Worte: „Sie ſind izt zu
ihrer Straffe nicht vorbereitet wie ich, und
werden darob nur wuͤthend werden.“

Der Junker ſtaunte einen Augenblik,
was er thun wollte, dann ſagte er: „Jch
wills ihnen auf euer Fuͤrwort ſchenken.“
Und der Renold und der Vogt dankten ihm
herzlich.

Ueber dieſe Zeit hatte er ſein Eſſen bey-
nahe ganz vergeſſen; er war beladen vom
Gefuͤhl des Guten, das im Jnnern der
Menſchen, die ſo tief gefallen waren, noch
ſteke, und nahm den Pfarrer bey der Hand,
gieng noch einen Augenblik mit ihm in den
Garten; ſie redeten noch mit einander, wie
gleich die Menſchen einander ſeyen, und wie
leicht der beſte werden koͤnne was der ſchlim̃-

ſte,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0210" n="192"/>
          <p>Er ließ &#x017F;o gar auch den Vogt noch eine<lb/>
Weile vor &#x017F;ich kommen, und der Renold<lb/>
dru&#x0364;kte ihm freundlich die Hand, und tro&#x0364;-<lb/>
&#x017F;tete und ermunterte ihn. Das that auch<lb/>
der Junker und der Pfarrer.</p><lb/>
          <p>Da es bald drey Uhr werden wollte,<lb/>
bath der Renold den Junker, er mo&#x0364;chte<lb/>
doch den Sechszehn das Looswerffen &#x017F;chen-<lb/>
ken, oder eher ihn auch unter &#x017F;ie &#x017F;tellen,<lb/>
damit &#x017F;ie keinen Groll gegen ihn fa&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
          <p>Auch der Vogt bath fu&#x0364;r &#x017F;ie, und &#x017F;agte<lb/>
die merkwu&#x0364;rdigen Worte: &#x201E;Sie &#x017F;ind izt zu<lb/>
ihrer Straffe nicht vorbereitet wie ich, und<lb/>
werden darob nur wu&#x0364;thend werden.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Der Junker &#x017F;taunte einen Augenblik,<lb/>
was er thun wollte, dann &#x017F;agte er: &#x201E;Jch<lb/>
wills ihnen auf euer Fu&#x0364;rwort &#x017F;chenken.&#x201C;<lb/>
Und der Renold und der Vogt dankten ihm<lb/>
herzlich.</p><lb/>
          <p>Ueber die&#x017F;e Zeit hatte er &#x017F;ein E&#x017F;&#x017F;en bey-<lb/>
nahe ganz verge&#x017F;&#x017F;en; er war beladen vom<lb/>
Gefu&#x0364;hl des Guten, das im Jnnern der<lb/>
Men&#x017F;chen, die &#x017F;o tief gefallen waren, noch<lb/>
&#x017F;teke, und nahm den Pfarrer bey der Hand,<lb/>
gieng noch einen Augenblik mit ihm in den<lb/>
Garten; &#x017F;ie redeten noch mit einander, wie<lb/>
gleich die Men&#x017F;chen einander &#x017F;eyen, und wie<lb/>
leicht der be&#x017F;te werden ko&#x0364;nne was der &#x017F;chlim&#x0303;-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;te,</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[192/0210] Er ließ ſo gar auch den Vogt noch eine Weile vor ſich kommen, und der Renold druͤkte ihm freundlich die Hand, und troͤ- ſtete und ermunterte ihn. Das that auch der Junker und der Pfarrer. Da es bald drey Uhr werden wollte, bath der Renold den Junker, er moͤchte doch den Sechszehn das Looswerffen ſchen- ken, oder eher ihn auch unter ſie ſtellen, damit ſie keinen Groll gegen ihn faſſen. Auch der Vogt bath fuͤr ſie, und ſagte die merkwuͤrdigen Worte: „Sie ſind izt zu ihrer Straffe nicht vorbereitet wie ich, und werden darob nur wuͤthend werden.“ Der Junker ſtaunte einen Augenblik, was er thun wollte, dann ſagte er: „Jch wills ihnen auf euer Fuͤrwort ſchenken.“ Und der Renold und der Vogt dankten ihm herzlich. Ueber dieſe Zeit hatte er ſein Eſſen bey- nahe ganz vergeſſen; er war beladen vom Gefuͤhl des Guten, das im Jnnern der Menſchen, die ſo tief gefallen waren, noch ſteke, und nahm den Pfarrer bey der Hand, gieng noch einen Augenblik mit ihm in den Garten; ſie redeten noch mit einander, wie gleich die Menſchen einander ſeyen, und wie leicht der beſte werden koͤnne was der ſchlim̃- ſte,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard02_1783
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard02_1783/210
Zitationshilfe: Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard02_1783/210>, abgerufen am 24.11.2024.