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Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783.

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"Er ist mit uns umgegangen, wie wenn
wir Hunde wären," sagte der Kalberleder.

"Du Narr, wärest mit uns gekommen,
so hättst's gesehen," sagte der Morlauer.

"Es ist mir, ich sey aus dem Fegfeuer
entronnen," sagte der alte Meyer.

"Laß mich doch auch zuerst verschnaufen,
ehe ich mit dir plaudern muß," sagte der
Spekmolch.

"Jch will lieber ins Bett, als izt essen,"
sagte der Kienast. -- Und gar alle gaben ih-
nen zuerst ungefehr solche Antworten.

Doch es halff nichts, ob sie verschnaufen
oder ins Bette wollten; sie mußten doch er-
zählen, und es gieng keine halbe Stunde vor-
bey, so wußten die Weiber alles haarklein,
was begegnet.

Aber es erbaute sie gar nicht -- die mei-
sten wurden wie wild. Die Rabserbäurin,
die jede faule Birne unter den Bäumen auf-
liest, sagte selbst: "Hundert Gulden Buß
thäten mir nicht so wehe als das."

Die Kienholzin verschwor sich, Jahr und
Tag nicht mehr in die Kirche zu gehen, und
sich vor Niemand mehr zu zeigen.

Die Spekmolkin heulte, daß sie izt just
auf den Sontag Gevater stehen sollte, wo
ihr Mann vielleicht unter die Kanzel müßte.

Die
N 2

„Er iſt mit uns umgegangen, wie wenn
wir Hunde waͤren,“ ſagte der Kalberleder.

„Du Narr, waͤreſt mit uns gekommen,
ſo haͤttſt's geſehen,“ ſagte der Morlauer.

„Es iſt mir, ich ſey aus dem Fegfeuer
entronnen,“ ſagte der alte Meyer.

„Laß mich doch auch zuerſt verſchnaufen,
ehe ich mit dir plaudern muß,“ ſagte der
Spekmolch.

„Jch will lieber ins Bett, als izt eſſen,“
ſagte der Kienaſt. — Und gar alle gaben ih-
nen zuerſt ungefehr ſolche Antworten.

Doch es halff nichts, ob ſie verſchnaufen
oder ins Bette wollten; ſie mußten doch er-
zaͤhlen, und es gieng keine halbe Stunde vor-
bey, ſo wußten die Weiber alles haarklein,
was begegnet.

Aber es erbaute ſie gar nicht — die mei-
ſten wurden wie wild. Die Rabſerbaͤurin,
die jede faule Birne unter den Baͤumen auf-
liest, ſagte ſelbſt: “Hundert Gulden Buß
thaͤten mir nicht ſo wehe als das.“

Die Kienholzin verſchwor ſich, Jahr und
Tag nicht mehr in die Kirche zu gehen, und
ſich vor Niemand mehr zu zeigen.

Die Spekmolkin heulte, daß ſie izt juſt
auf den Sontag Gevater ſtehen ſollte, wo
ihr Mann vielleicht unter die Kanzel muͤßte.

Die
N 2
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[195/0213] „Er iſt mit uns umgegangen, wie wenn wir Hunde waͤren,“ ſagte der Kalberleder. „Du Narr, waͤreſt mit uns gekommen, ſo haͤttſt's geſehen,“ ſagte der Morlauer. „Es iſt mir, ich ſey aus dem Fegfeuer entronnen,“ ſagte der alte Meyer. „Laß mich doch auch zuerſt verſchnaufen, ehe ich mit dir plaudern muß,“ ſagte der Spekmolch. „Jch will lieber ins Bett, als izt eſſen,“ ſagte der Kienaſt. — Und gar alle gaben ih- nen zuerſt ungefehr ſolche Antworten. Doch es halff nichts, ob ſie verſchnaufen oder ins Bette wollten; ſie mußten doch er- zaͤhlen, und es gieng keine halbe Stunde vor- bey, ſo wußten die Weiber alles haarklein, was begegnet. Aber es erbaute ſie gar nicht — die mei- ſten wurden wie wild. Die Rabſerbaͤurin, die jede faule Birne unter den Baͤumen auf- liest, ſagte ſelbſt: “Hundert Gulden Buß thaͤten mir nicht ſo wehe als das.“ Die Kienholzin verſchwor ſich, Jahr und Tag nicht mehr in die Kirche zu gehen, und ſich vor Niemand mehr zu zeigen. Die Spekmolkin heulte, daß ſie izt juſt auf den Sontag Gevater ſtehen ſollte, wo ihr Mann vielleicht unter die Kanzel muͤßte. Die N 2

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Zitationshilfe: Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard02_1783/213>, abgerufen am 24.05.2024.