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Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783.

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tor im Bett unter die Linde zu bringen. Sie
sprangen zu Duzenden, und brachten die
Menge Tragbahren.

"So viel Tragbahren müssen etwas anders
bedeuten," dachte der Doktor, athmete wie-
der etwas leichter, und gieng nicht ins Bett,
sondern in Keller, in einer Weinflasche Trost
wider seinen Schreken zu reichen. Er hatte
sie aber kaum herauf gebracht, und auf den
Tisch gesezt, so pochte der Flink und die
Pursche mit der Tragbahre an seiner Thüre,
und es ward dem Doktor grün und schwarz
und aller Farben vor den Augen, als er das
Volk vor seiner Thüre sah. "Was wollt
ihr hier mit einer Tragbahren?" rieff er stot-
ternd vom Fenster hinunter.

"Wir müssen dich darauf zum Junker
tragen," antworteten die Träger.

Die jungen Pursche, die mitluffen, er-
hoben ein lautes Gelächter.

Aber der Flink rieff ernsthaft: "Macht
uns auf, ihr müßt mit uns."

Der Treufaug, beynahe ohne zu wissen,
was er that, zog izt die Thür auf -- Sie
giengen hinauf, und der Flink berichtete ihn
in Form und Ordnung, was izt seyn müsse.

Er aber fluchte und sagte, er vermöge
ja zu zahlen, und wenns 1000. fl. kostete,

und

tor im Bett unter die Linde zu bringen. Sie
ſprangen zu Duzenden, und brachten die
Menge Tragbahren.

„So viel Tragbahren muͤſſen etwas anders
bedeuten,“ dachte der Doktor, athmete wie-
der etwas leichter, und gieng nicht ins Bett,
ſondern in Keller, in einer Weinflaſche Troſt
wider ſeinen Schreken zu reichen. Er hatte
ſie aber kaum herauf gebracht, und auf den
Tiſch geſezt, ſo pochte der Flink und die
Purſche mit der Tragbahre an ſeiner Thuͤre,
und es ward dem Doktor gruͤn und ſchwarz
und aller Farben vor den Augen, als er das
Volk vor ſeiner Thuͤre ſah. „Was wollt
ihr hier mit einer Tragbahren?“ rieff er ſtot-
ternd vom Fenſter hinunter.

„Wir muͤſſen dich darauf zum Junker
tragen,“ antworteten die Traͤger.

Die jungen Purſche, die mitluffen, er-
hoben ein lautes Gelaͤchter.

Aber der Flink rieff ernſthaft: „Macht
uns auf, ihr muͤßt mit uns.“

Der Treufaug, beynahe ohne zu wiſſen,
was er that, zog izt die Thuͤr auf — Sie
giengen hinauf, und der Flink berichtete ihn
in Form und Ordnung, was izt ſeyn muͤſſe.

Er aber fluchte und ſagte, er vermoͤge
ja zu zahlen, und wenns 1000. fl. koſtete,

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[207/0225] tor im Bett unter die Linde zu bringen. Sie ſprangen zu Duzenden, und brachten die Menge Tragbahren. „So viel Tragbahren muͤſſen etwas anders bedeuten,“ dachte der Doktor, athmete wie- der etwas leichter, und gieng nicht ins Bett, ſondern in Keller, in einer Weinflaſche Troſt wider ſeinen Schreken zu reichen. Er hatte ſie aber kaum herauf gebracht, und auf den Tiſch geſezt, ſo pochte der Flink und die Purſche mit der Tragbahre an ſeiner Thuͤre, und es ward dem Doktor gruͤn und ſchwarz und aller Farben vor den Augen, als er das Volk vor ſeiner Thuͤre ſah. „Was wollt ihr hier mit einer Tragbahren?“ rieff er ſtot- ternd vom Fenſter hinunter. „Wir muͤſſen dich darauf zum Junker tragen,“ antworteten die Traͤger. Die jungen Purſche, die mitluffen, er- hoben ein lautes Gelaͤchter. Aber der Flink rieff ernſthaft: „Macht uns auf, ihr muͤßt mit uns.“ Der Treufaug, beynahe ohne zu wiſſen, was er that, zog izt die Thuͤr auf — Sie giengen hinauf, und der Flink berichtete ihn in Form und Ordnung, was izt ſeyn muͤſſe. Er aber fluchte und ſagte, er vermoͤge ja zu zahlen, und wenns 1000. fl. koſtete, und

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Zitationshilfe: Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard02_1783/225>, abgerufen am 21.11.2024.