Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783.

Bild:
<< vorherige Seite

Viele verzweifelten, weil sie bey uns ver-
führt worden. --

Söhne lieffen aus dem Land, weil wir sie
zu Grunde gerichtet -- und Töchter sind un-
glüklich worden, weil ihnen in unserm Haus
Fallstrike gelegt worden. --

Es ist noch viel mehr -- ich kanns nicht
aussprechen -- ich kanns nicht mehr ändern
-- -- Jch kann nichts mehr sagen, als:
Nehmet ein Exempel, und bleibt, um Got-
tes willen, ein jedes so viel es immer kann,
bey Hause, und bey den Seinen -- Förch-
tet euch, um Gottes willen, für immer,
von irgend jemand auch nur um einen Hel-
ler zu kauffen, was ihr nicht geradehin zah-
len könnt. --

Sie hielt hier einen Augenblik inne; dann
sagte sie wieder:

Jch kann nichts mehr, als: Um Gottes
willen verzeihet mir, verzeihet meinem Mann.
Jch bin izt wie eine arme Sünderinn, die
auf ihren Tod wartet -- und bitte um Got-
tes willen, bethe auch noch ein jedes von
euch ein gläubiges "Unser Vater" für mich.

Mit diesem Wort wandte die Vögtin ihr
Angesicht seitwerts, -- und sank ohnmäch-
tig auf ihr Küssen.



§. 63.

Viele verzweifelten, weil ſie bey uns ver-
fuͤhrt worden. —

Soͤhne lieffen aus dem Land, weil wir ſie
zu Grunde gerichtet — und Toͤchter ſind un-
gluͤklich worden, weil ihnen in unſerm Haus
Fallſtrike gelegt worden. —

Es iſt noch viel mehr — ich kanns nicht
ausſprechen — ich kanns nicht mehr aͤndern
— — Jch kann nichts mehr ſagen, als:
Nehmet ein Exempel, und bleibt, um Got-
tes willen, ein jedes ſo viel es immer kann,
bey Hauſe, und bey den Seinen — Foͤrch-
tet euch, um Gottes willen, fuͤr immer,
von irgend jemand auch nur um einen Hel-
ler zu kauffen, was ihr nicht geradehin zah-
len koͤnnt. —

Sie hielt hier einen Augenblik inne; dann
ſagte ſie wieder:

Jch kann nichts mehr, als: Um Gottes
willen verzeihet mir, verzeihet meinem Mañ.
Jch bin izt wie eine arme Suͤnderinn, die
auf ihren Tod wartet — und bitte um Got-
tes willen, bethe auch noch ein jedes von
euch ein glaͤubiges „Unſer Vater“ fuͤr mich.

Mit dieſem Wort wandte die Voͤgtin ihr
Angeſicht ſeitwerts, — und ſank ohnmaͤch-
tig auf ihr Kuͤſſen.



§. 63.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0244" n="226"/>
          <p>Viele verzweifelten, weil &#x017F;ie bey uns ver-<lb/>
fu&#x0364;hrt worden. &#x2014;</p><lb/>
          <p>So&#x0364;hne lieffen aus dem Land, weil wir &#x017F;ie<lb/>
zu Grunde gerichtet &#x2014; und To&#x0364;chter &#x017F;ind un-<lb/>
glu&#x0364;klich worden, weil ihnen in un&#x017F;erm Haus<lb/>
Fall&#x017F;trike gelegt worden. &#x2014;</p><lb/>
          <p>Es i&#x017F;t noch viel mehr &#x2014; ich kanns nicht<lb/>
aus&#x017F;prechen &#x2014; ich kanns nicht mehr a&#x0364;ndern<lb/>
&#x2014; &#x2014; Jch kann nichts mehr &#x017F;agen, als:<lb/>
Nehmet ein Exempel, und bleibt, um Got-<lb/>
tes willen, ein jedes &#x017F;o viel es immer kann,<lb/>
bey Hau&#x017F;e, und bey den Seinen &#x2014; Fo&#x0364;rch-<lb/>
tet euch, um Gottes willen, fu&#x0364;r immer,<lb/>
von irgend jemand auch nur um einen Hel-<lb/>
ler zu kauffen, was ihr nicht geradehin zah-<lb/>
len ko&#x0364;nnt. &#x2014;</p><lb/>
          <p>Sie hielt hier einen Augenblik inne; dann<lb/>
&#x017F;agte &#x017F;ie wieder:</p><lb/>
          <p>Jch kann nichts mehr, als: Um Gottes<lb/>
willen verzeihet mir, verzeihet meinem Mañ.<lb/>
Jch bin izt wie eine arme Su&#x0364;nderinn, die<lb/>
auf ihren Tod wartet &#x2014; und bitte um Got-<lb/>
tes willen, bethe auch noch ein jedes von<lb/>
euch ein gla&#x0364;ubiges &#x201E;Un&#x017F;er Vater&#x201C; fu&#x0364;r mich.</p><lb/>
          <p>Mit die&#x017F;em Wort wandte die Vo&#x0364;gtin ihr<lb/>
Ange&#x017F;icht &#x017F;eitwerts, &#x2014; und &#x017F;ank ohnma&#x0364;ch-<lb/>
tig auf ihr Ku&#x0364;&#x017F;&#x017F;en.</p>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <fw place="bottom" type="catch">§. 63.</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[226/0244] Viele verzweifelten, weil ſie bey uns ver- fuͤhrt worden. — Soͤhne lieffen aus dem Land, weil wir ſie zu Grunde gerichtet — und Toͤchter ſind un- gluͤklich worden, weil ihnen in unſerm Haus Fallſtrike gelegt worden. — Es iſt noch viel mehr — ich kanns nicht ausſprechen — ich kanns nicht mehr aͤndern — — Jch kann nichts mehr ſagen, als: Nehmet ein Exempel, und bleibt, um Got- tes willen, ein jedes ſo viel es immer kann, bey Hauſe, und bey den Seinen — Foͤrch- tet euch, um Gottes willen, fuͤr immer, von irgend jemand auch nur um einen Hel- ler zu kauffen, was ihr nicht geradehin zah- len koͤnnt. — Sie hielt hier einen Augenblik inne; dann ſagte ſie wieder: Jch kann nichts mehr, als: Um Gottes willen verzeihet mir, verzeihet meinem Mañ. Jch bin izt wie eine arme Suͤnderinn, die auf ihren Tod wartet — und bitte um Got- tes willen, bethe auch noch ein jedes von euch ein glaͤubiges „Unſer Vater“ fuͤr mich. Mit dieſem Wort wandte die Voͤgtin ihr Angeſicht ſeitwerts, — und ſank ohnmaͤch- tig auf ihr Kuͤſſen. §. 63.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard02_1783
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard02_1783/244
Zitationshilfe: Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard02_1783/244>, abgerufen am 18.12.2024.