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Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783.

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er nicht gern wollte, und machte sich so mit
Zeit und Jahren im Schloß so nothwen-
dig, daß man fast gar nicht ohne ihn fort-
kommen konnte; er ließ es auch ein paarmal
den Junker fühlen, da er einmal in der Heu-
Ernd, ein andermal auf eine Zehend-Ver-
leihung nur 8. Tage nicht ins Schloß kam.

Er trachtete ferner, alle so Aemter hatten,
bis auf die geringsten, so viel er immer konnte,
unter einen Hut zu bringen -- Er nahm
davon für sich selbst so viel er konnte, und
für die übrigen sorgte er, daß sie mit ihm
zugethanen, und wenigstens mit einfältigen
Leuten besezt wurden; bis auf den Siegrist
(Küster) und Schulmeisterdienst schob er al-
lenthalben seine Creaturen unter, und that
dann als Vogt in unaussprechlicher Sicher-
heit, was er vorher doch selber als Waibel
noch immer mit Gefahr des Zuchthauses u.
noch größerer Strafe gethan.

Das ist nämlich der Unterschied zwischen
einem Schelmen der Vogt ist, und einem
andern der es nicht ist; der Eid, den er auf
sich hat, und der Eid, den seine Creaturen
schweren, wird zu einem Schild, mit dem
er alle Verbrechen bedeken kann. Wo er
diesen Schild vorhält, da werden seine Lü-
gen zur Wahrheit, und die Wahrheit sei-
ner Widerpart zu Lügen.

Der

er nicht gern wollte, und machte ſich ſo mit
Zeit und Jahren im Schloß ſo nothwen-
dig, daß man faſt gar nicht ohne ihn fort-
kommen konnte; er ließ es auch ein paarmal
den Junker fuͤhlen, da er einmal in der Heu-
Ernd, ein andermal auf eine Zehend-Ver-
leihung nur 8. Tage nicht ins Schloß kam.

Er trachtete ferner, alle ſo Aemter hatten,
bis auf die geringſten, ſo viel er im̃er koñte,
unter einen Hut zu bringen — Er nahm
davon fuͤr ſich ſelbſt ſo viel er konnte, und
fuͤr die uͤbrigen ſorgte er, daß ſie mit ihm
zugethanen, und wenigſtens mit einfaͤltigen
Leuten beſezt wurden; bis auf den Siegriſt
(Kuͤſter) und Schulmeiſterdienſt ſchob er al-
lenthalben ſeine Creaturen unter, und that
dann als Vogt in unausſprechlicher Sicher-
heit, was er vorher doch ſelber als Waibel
noch immer mit Gefahr des Zuchthauſes u.
noch groͤßerer Strafe gethan.

Das iſt naͤmlich der Unterſchied zwiſchen
einem Schelmen der Vogt iſt, und einem
andern der es nicht iſt; der Eid, den er auf
ſich hat, und der Eid, den ſeine Creaturen
ſchweren, wird zu einem Schild, mit dem
er alle Verbrechen bedeken kann. Wo er
dieſen Schild vorhaͤlt, da werden ſeine Luͤ-
gen zur Wahrheit, und die Wahrheit ſei-
ner Widerpart zu Luͤgen.

Der
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[282/0300] er nicht gern wollte, und machte ſich ſo mit Zeit und Jahren im Schloß ſo nothwen- dig, daß man faſt gar nicht ohne ihn fort- kommen konnte; er ließ es auch ein paarmal den Junker fuͤhlen, da er einmal in der Heu- Ernd, ein andermal auf eine Zehend-Ver- leihung nur 8. Tage nicht ins Schloß kam. Er trachtete ferner, alle ſo Aemter hatten, bis auf die geringſten, ſo viel er im̃er koñte, unter einen Hut zu bringen — Er nahm davon fuͤr ſich ſelbſt ſo viel er konnte, und fuͤr die uͤbrigen ſorgte er, daß ſie mit ihm zugethanen, und wenigſtens mit einfaͤltigen Leuten beſezt wurden; bis auf den Siegriſt (Kuͤſter) und Schulmeiſterdienſt ſchob er al- lenthalben ſeine Creaturen unter, und that dann als Vogt in unausſprechlicher Sicher- heit, was er vorher doch ſelber als Waibel noch immer mit Gefahr des Zuchthauſes u. noch groͤßerer Strafe gethan. Das iſt naͤmlich der Unterſchied zwiſchen einem Schelmen der Vogt iſt, und einem andern der es nicht iſt; der Eid, den er auf ſich hat, und der Eid, den ſeine Creaturen ſchweren, wird zu einem Schild, mit dem er alle Verbrechen bedeken kann. Wo er dieſen Schild vorhaͤlt, da werden ſeine Luͤ- gen zur Wahrheit, und die Wahrheit ſei- ner Widerpart zu Luͤgen. Der

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Zitationshilfe: Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783, S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard02_1783/300>, abgerufen am 26.06.2024.