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Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783.

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Jndessen wandte sich der Richter am Stab,
und sagte mit lauter Stimme zum Volk: --

"Höre, versammeltes Volk! dein Herr
und Vater läßt dir sagen."

"Wer unter euch eine solche Schande nicht
"mehr fürchtet, als den Tod, der gehet mit
"seinem Haus, mit seinen Kindern, und mit
"seinem Geschlecht, dem Elend entgegen, in
"welchem ihr izt diesen armen Mann sehet."

Dann redete der Pfarrer fast die ganze
Stunde mit dem Volk, das noch nie in kei-
ner Kirche mit mehr Aufmerksamkeit und
Rührung vor ihm gestanden.

Der Vogt aber war fast athemlos und
zum Einsinken erschöpft; Als es der Pfar-
rer merkte, rief er seinem Hans, und sagte
ihm: "Du must den kleinen Wagen hieher
bringen und ein Bettstük darauf." -- Der
Hans thats, und brachte ein Bett und Wa-
gen zu ihnen; Und da die Stunde izt vorü-
ber war, und man den Vogt von seinen
Banden los ließ, nahm ihn der Pfarrer bey
der Hand und sagte: "Steig izt in Gottes
Namen hier ein; ich sehe, daß du's nöthig
hast, und fast nicht heimgehen könntest." --

"Es ist wahr," sagte der Vogt, "es zittert
alles an mir," dankte, sagte -- "Jch hab'
das nicht verdient" -- und stieg in den Wa-
gen. -- Der Pfarrer gieng unter allem

Volk

Jndeſſen wandte ſich der Richter am Stab,
und ſagte mit lauter Stimme zum Volk: —

„Hoͤre, verſam̃eltes Volk! dein Herr
und Vater laͤßt dir ſagen.“

„Wer unter euch eine ſolche Schande nicht
„mehr fuͤrchtet, als den Tod, der gehet mit
„ſeinem Haus, mit ſeinen Kindern, und mit
„ſeinem Geſchlecht, dem Elend entgegen, in
„welchem ihr izt dieſen armen Mann ſehet.“

Dann redete der Pfarrer faſt die ganze
Stunde mit dem Volk, das noch nie in kei-
ner Kirche mit mehr Aufmerkſamkeit und
Ruͤhrung vor ihm geſtanden.

Der Vogt aber war faſt athemlos und
zum Einſinken erſchoͤpft; Als es der Pfar-
rer merkte, rief er ſeinem Hans, und ſagte
ihm: „Du muſt den kleinen Wagen hieher
bringen und ein Bettſtuͤk darauf.“ — Der
Hans thats, und brachte ein Bett und Wa-
gen zu ihnen; Und da die Stunde izt voruͤ-
ber war, und man den Vogt von ſeinen
Banden los ließ, nahm ihn der Pfarrer bey
der Hand und ſagte: „Steig izt in Gottes
Namen hier ein; ich ſehe, daß du's noͤthig
haſt, und faſt nicht heimgehen koͤnnteſt.“ —

„Es iſt wahr,“ ſagte der Vogt, „es zittert
alles an mir,“ dankte, ſagte — „Jch hab'
das nicht verdient“ — und ſtieg in den Wa-
gen. — Der Pfarrer gieng unter allem

Volk
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[18/0036] Jndeſſen wandte ſich der Richter am Stab, und ſagte mit lauter Stimme zum Volk: — „Hoͤre, verſam̃eltes Volk! dein Herr und Vater laͤßt dir ſagen.“ „Wer unter euch eine ſolche Schande nicht „mehr fuͤrchtet, als den Tod, der gehet mit „ſeinem Haus, mit ſeinen Kindern, und mit „ſeinem Geſchlecht, dem Elend entgegen, in „welchem ihr izt dieſen armen Mann ſehet.“ Dann redete der Pfarrer faſt die ganze Stunde mit dem Volk, das noch nie in kei- ner Kirche mit mehr Aufmerkſamkeit und Ruͤhrung vor ihm geſtanden. Der Vogt aber war faſt athemlos und zum Einſinken erſchoͤpft; Als es der Pfar- rer merkte, rief er ſeinem Hans, und ſagte ihm: „Du muſt den kleinen Wagen hieher bringen und ein Bettſtuͤk darauf.“ — Der Hans thats, und brachte ein Bett und Wa- gen zu ihnen; Und da die Stunde izt voruͤ- ber war, und man den Vogt von ſeinen Banden los ließ, nahm ihn der Pfarrer bey der Hand und ſagte: „Steig izt in Gottes Namen hier ein; ich ſehe, daß du's noͤthig haſt, und faſt nicht heimgehen koͤnnteſt.“ — „Es iſt wahr,“ ſagte der Vogt, „es zittert alles an mir,“ dankte, ſagte — „Jch hab' das nicht verdient“ — und ſtieg in den Wa- gen. — Der Pfarrer gieng unter allem Volk

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Zitationshilfe: Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard02_1783/36>, abgerufen am 21.11.2024.