der Angst kämen, und sagte keinem viel mehr als bist du auch da? Etlichen bot er noch die Hand, und sagte ihnen mit Vatergüte, thu doch das dein Lebtag nicht mehr! --
Aber das Ganze was ihm vor Augen stuhnd war entsezlich. Der Fehler, um dessentwil- len sie da waren, machte ihm nichts, aber das Bild der Heucheley und Verstellung, das allent- halben hervorstach, drükte und empörte den Mann.
Die meisten Weiber thaten, wie wenn sie in Boden hineinsinken wollten. Er sagte aber ihrer etlichen, es ist dir nicht halb so wie du thust, -- einer sagte er gar, ich meyne, wenn grad jezt ein Krug Wein bey dir zu stuhnde, und du allein wärest daß dich niemand sähe, dein Jammer würde bald aus seyn.
Aber eine verstellte sich nicht; es war ein Elend sie anzusehen, sie weynte nicht, aber ihr Athem tönte auf viele Schritte laut, ihr Mund lag über einander, wie wenn er zusam- mengewachsen, und wenn sie redte, schnap- pete sie nach Luft. So stuhnd die Rabserbäu- rin vor seinen Augen.
Was ist dir Frau? -- bist du krank, oder was fehlt dir? sagte der Junker. --
Sie konnte nicht reden, aber sie fieng an zu weynen, und mit dem war ihr leichter, daß sie hinten nach sagen konnte, sie sey jezt
der Angſt kaͤmen, und ſagte keinem viel mehr als biſt du auch da? Etlichen bot er noch die Hand, und ſagte ihnen mit Vaterguͤte, thu doch das dein Lebtag nicht mehr! —
Aber das Ganze was ihm vor Augen ſtuhnd war entſezlich. Der Fehler, um deſſentwil- len ſie da waren, machte ihm nichts, aber das Bild der Heucheley und Verſtellung, das allent- halben hervorſtach, druͤkte und empoͤrte den Mann.
Die meiſten Weiber thaten, wie wenn ſie in Boden hineinſinken wollten. Er ſagte aber ihrer etlichen, es iſt dir nicht halb ſo wie du thuſt, — einer ſagte er gar, ich meyne, wenn grad jezt ein Krug Wein bey dir zu ſtuhnde, und du allein waͤreſt daß dich niemand ſaͤhe, dein Jammer wuͤrde bald aus ſeyn.
Aber eine verſtellte ſich nicht; es war ein Elend ſie anzuſehen, ſie weynte nicht, aber ihr Athem toͤnte auf viele Schritte laut, ihr Mund lag uͤber einander, wie wenn er zuſam- mengewachſen, und wenn ſie redte, ſchnap- pete ſie nach Luft. So ſtuhnd die Rabſerbaͤu- rin vor ſeinen Augen.
Was iſt dir Frau? — biſt du krank, oder was fehlt dir? ſagte der Junker. —
Sie konnte nicht reden, aber ſie fieng an zu weynen, und mit dem war ihr leichter, daß ſie hinten nach ſagen konnte, ſie ſey jezt
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der Angſt kaͤmen, und ſagte keinem viel mehr
als biſt du auch da? Etlichen bot er noch die
Hand, und ſagte ihnen mit Vaterguͤte, thu
doch das dein Lebtag nicht mehr! —
Aber das Ganze was ihm vor Augen ſtuhnd
war entſezlich. Der Fehler, um deſſentwil-
len ſie da waren, machte ihm nichts, aber das
Bild der Heucheley und Verſtellung, das allent-
halben hervorſtach, druͤkte und empoͤrte den
Mann.
Die meiſten Weiber thaten, wie wenn ſie
in Boden hineinſinken wollten. Er ſagte aber
ihrer etlichen, es iſt dir nicht halb ſo wie du
thuſt, — einer ſagte er gar, ich meyne, wenn
grad jezt ein Krug Wein bey dir zu ſtuhnde,
und du allein waͤreſt daß dich niemand ſaͤhe,
dein Jammer wuͤrde bald aus ſeyn.
Aber eine verſtellte ſich nicht; es war ein
Elend ſie anzuſehen, ſie weynte nicht, aber ihr
Athem toͤnte auf viele Schritte laut, ihr
Mund lag uͤber einander, wie wenn er zuſam-
mengewachſen, und wenn ſie redte, ſchnap-
pete ſie nach Luft. So ſtuhnd die Rabſerbaͤu-
rin vor ſeinen Augen.
Was iſt dir Frau? — biſt du krank, oder
was fehlt dir? ſagte der Junker. —
Sie konnte nicht reden, aber ſie fieng an
zu weynen, und mit dem war ihr leichter,
daß ſie hinten nach ſagen konnte, ſie ſey jezt
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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1785, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard03_1785/194>, abgerufen am 29.11.2024.
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