Und wundert euch nicht ihr Menschen! Wenn ein Vater den Liebling seines Herzens und seinen Erstgebohrnen unwiederbringlich verlohren, mit seinem Angesicht sich auf den Boden hinwirft und mit seinen Zähnen ins Gras beißt vor Verzweiflung, und dann seine andern Kinder zu ihm kommen, ihn zu trö- sten, so empfindet er zuerst auch keine Freude, und wenn auch ihre Mutter an ihrer Spize, kehrt er sich doch von ihr weg, er schnappet vor allem aus nach Athem und Luft; erst denn wenn es wieder leichter ums Herz, erst dann fällt er der Mutter an Arm, erst dann sezt er ihren Unmündigen auf seinen Schoos, und fangt an, sich seiner übrigen Kinder wieder zu erfreuen, und sich wegen seines verlohrnen Erstgebohrnen zu trösten.
Arner mußte sich jezt auch erholen, und nach einigen Augenbliken, da er wie verstei- nert da stuhnd, erholte er sich wirklich, und gab der guten Rikenbergerin seine Hand und sagt zu ihm, Kind! wessen bist du? -- Aber er sah noch so verwirrt aus und seine Sprache war noch so hart, da er das sagte, und so voll Unruh, daß das Kind von seinem Anblik gleich erschroken wie von seiner Frage seine Farbe verlohr, und mit Zittern antwortete mein Vater -- mein Vater -- ist -- denn konnte es nicht mehr, seine Lippen starr-
Und wundert euch nicht ihr Menſchen! Wenn ein Vater den Liebling ſeines Herzens und ſeinen Erſtgebohrnen unwiederbringlich verlohren, mit ſeinem Angeſicht ſich auf den Boden hinwirft und mit ſeinen Zaͤhnen ins Gras beißt vor Verzweiflung, und dann ſeine andern Kinder zu ihm kommen, ihn zu troͤ- ſten, ſo empfindet er zuerſt auch keine Freude, und wenn auch ihre Mutter an ihrer Spize, kehrt er ſich doch von ihr weg, er ſchnappet vor allem aus nach Athem und Luft; erſt denn wenn es wieder leichter ums Herz, erſt dann faͤllt er der Mutter an Arm, erſt dann ſezt er ihren Unmuͤndigen auf ſeinen Schoos, und fangt an, ſich ſeiner uͤbrigen Kinder wieder zu erfreuen, und ſich wegen ſeines verlohrnen Erſtgebohrnen zu troͤſten.
Arner mußte ſich jezt auch erholen, und nach einigen Augenbliken, da er wie verſtei- nert da ſtuhnd, erholte er ſich wirklich, und gab der guten Rikenbergerin ſeine Hand und ſagt zu ihm, Kind! weſſen biſt du? — Aber er ſah noch ſo verwirrt aus und ſeine Sprache war noch ſo hart, da er das ſagte, und ſo voll Unruh, daß das Kind von ſeinem Anblik gleich erſchroken wie von ſeiner Frage ſeine Farbe verlohr, und mit Zittern antwortete mein Vater — mein Vater — iſt — denn konnte es nicht mehr, ſeine Lippen ſtarr-
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Und wundert euch nicht ihr Menſchen!
Wenn ein Vater den Liebling ſeines Herzens
und ſeinen Erſtgebohrnen unwiederbringlich
verlohren, mit ſeinem Angeſicht ſich auf den
Boden hinwirft und mit ſeinen Zaͤhnen ins
Gras beißt vor Verzweiflung, und dann ſeine
andern Kinder zu ihm kommen, ihn zu troͤ-
ſten, ſo empfindet er zuerſt auch keine Freude,
und wenn auch ihre Mutter an ihrer Spize,
kehrt er ſich doch von ihr weg, er ſchnappet
vor allem aus nach Athem und Luft; erſt denn
wenn es wieder leichter ums Herz, erſt dann
faͤllt er der Mutter an Arm, erſt dann ſezt er
ihren Unmuͤndigen auf ſeinen Schoos, und
fangt an, ſich ſeiner uͤbrigen Kinder wieder
zu erfreuen, und ſich wegen ſeines verlohrnen
Erſtgebohrnen zu troͤſten.
Arner mußte ſich jezt auch erholen, und
nach einigen Augenbliken, da er wie verſtei-
nert da ſtuhnd, erholte er ſich wirklich, und
gab der guten Rikenbergerin ſeine Hand und
ſagt zu ihm, Kind! weſſen biſt du? — Aber
er ſah noch ſo verwirrt aus und ſeine Sprache
war noch ſo hart, da er das ſagte, und ſo
voll Unruh, daß das Kind von ſeinem Anblik
gleich erſchroken wie von ſeiner Frage ſeine
Farbe verlohr, und mit Zittern antwortete
mein Vater — mein Vater — iſt —
denn konnte es nicht mehr, ſeine Lippen ſtarr-
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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1785, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard03_1785/243>, abgerufen am 24.11.2024.
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