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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1785.

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Todbett um deswillen nicht wie ein Christen-
mensch, und gab dem Pfarrer, da er zu ihm
kam und ihn fragte, wie es auch gehe? zur
Antwort, es sey am Einpaken, wenn er mit
wolle. Der gute Pfarrer schüttelte den Kopf,
und sagte, was das auch für eine Rede sey in
seinen Umständen? Der Kerl aber fuhr in sei-
nem Ton fort -- es sey kein Wunder, daß er
so rede, es gebe ja einem nur niemand mehr
kein Glas Wein auf den Weg -- wenn man
vor Durst erstikte; -- und hiermit kehrte er sich
um, und murrte gegen die Wand, und der
Pfarrer, der sah, daß er jezt minder bey ihm
nüze als bey einem Haupt Vieh, gieng von
ihm fort, schikte ihm eine Flasche Wein; er
leerte sie aus und starb.

Laßt euch das nicht ärgern; es geschieht gar
zu viel dergleichen unter dem Mond, ihr müs-
set denken, ihr Menschen, wenn der Mann eine
Viertelstund ehe der Pfarrer zu ihm gekommen,
ein Glas Wein gehabt, so hätte er auch wie ein
anderer Christenmensch auf dem Todbett abge-
hört, was er zu ihm gesagt und mit ihm gebe-
tet hätte. --

Aber jezt giengs einmal so. Der böse Durst
brachte gar viele Leute zu Sachen, die sie sonst
nicht gethan hätten. Ihrer viele, z. Ex. die
bey Jahren keinen Tropfen Milch getrunken,
liessen jezt alle Tage ein paar Beken sauer wer-

X 3

Todbett um deswillen nicht wie ein Chriſten-
menſch, und gab dem Pfarrer, da er zu ihm
kam und ihn fragte, wie es auch gehe? zur
Antwort, es ſey am Einpaken, wenn er mit
wolle. Der gute Pfarrer ſchuͤttelte den Kopf,
und ſagte, was das auch fuͤr eine Rede ſey in
ſeinen Umſtaͤnden? Der Kerl aber fuhr in ſei-
nem Ton fort — es ſey kein Wunder, daß er
ſo rede, es gebe ja einem nur niemand mehr
kein Glas Wein auf den Weg — wenn man
vor Durſt erſtikte; — und hiermit kehrte er ſich
um, und murrte gegen die Wand, und der
Pfarrer, der ſah, daß er jezt minder bey ihm
nuͤze als bey einem Haupt Vieh, gieng von
ihm fort, ſchikte ihm eine Flaſche Wein; er
leerte ſie aus und ſtarb.

Laßt euch das nicht aͤrgern; es geſchieht gar
zu viel dergleichen unter dem Mond, ihr muͤſ-
ſet denken, ihr Menſchen, wenn der Mann eine
Viertelſtund ehe der Pfarrer zu ihm gekommen,
ein Glas Wein gehabt, ſo haͤtte er auch wie ein
anderer Chriſtenmenſch auf dem Todbett abge-
hoͤrt, was er zu ihm geſagt und mit ihm gebe-
tet haͤtte. —

Aber jezt giengs einmal ſo. Der boͤſe Durſt
brachte gar viele Leute zu Sachen, die ſie ſonſt
nicht gethan haͤtten. Ihrer viele, z. Ex. die
bey Jahren keinen Tropfen Milch getrunken,
lieſſen jezt alle Tage ein paar Beken ſauer wer-

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[325/0347] Todbett um deswillen nicht wie ein Chriſten- menſch, und gab dem Pfarrer, da er zu ihm kam und ihn fragte, wie es auch gehe? zur Antwort, es ſey am Einpaken, wenn er mit wolle. Der gute Pfarrer ſchuͤttelte den Kopf, und ſagte, was das auch fuͤr eine Rede ſey in ſeinen Umſtaͤnden? Der Kerl aber fuhr in ſei- nem Ton fort — es ſey kein Wunder, daß er ſo rede, es gebe ja einem nur niemand mehr kein Glas Wein auf den Weg — wenn man vor Durſt erſtikte; — und hiermit kehrte er ſich um, und murrte gegen die Wand, und der Pfarrer, der ſah, daß er jezt minder bey ihm nuͤze als bey einem Haupt Vieh, gieng von ihm fort, ſchikte ihm eine Flaſche Wein; er leerte ſie aus und ſtarb. Laßt euch das nicht aͤrgern; es geſchieht gar zu viel dergleichen unter dem Mond, ihr muͤſ- ſet denken, ihr Menſchen, wenn der Mann eine Viertelſtund ehe der Pfarrer zu ihm gekommen, ein Glas Wein gehabt, ſo haͤtte er auch wie ein anderer Chriſtenmenſch auf dem Todbett abge- hoͤrt, was er zu ihm geſagt und mit ihm gebe- tet haͤtte. — Aber jezt giengs einmal ſo. Der boͤſe Durſt brachte gar viele Leute zu Sachen, die ſie ſonſt nicht gethan haͤtten. Ihrer viele, z. Ex. die bey Jahren keinen Tropfen Milch getrunken, lieſſen jezt alle Tage ein paar Beken ſauer wer- X 3

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Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1785, S. 325. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard03_1785/347>, abgerufen am 24.11.2024.