Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1785.

Bild:
<< vorherige Seite

Am meisten aber machte das: die Reichen
waren bis jezt gewohnt die Armen als eine
Art Knechte anzusehen, die wie dazu gebohren
seyen ihnen um den halben Lohn, den sie an-
derstwo haben könnten, alle Arten Dienste zu
thun, und es machte z. E. einer solchen diken
Frauen gar nichts, ihre arme Gevatterin einen
ganzen Nachmittag bey ihr arbeiten zu machen,
und sie denn am Abend vor dem Nachtessen
mit einem Stük Brod, und etwann einer ab-
genommenen Milch heimzuschiken.

Aber es ist vorbey, -- Gevatterin hin,
und Gevatterin her: die Armen wollen das nicht
mehr so verstehen, und kommen ihnen nicht
mehr, ausser sie geben ihnen so viel Lohn als
sie daheim oder anderstwo in der gleichen Zeit
verdienen konnten.

Darinn haben sie auch ganz recht.

Aber darinn haben sie unrecht, daß sie, so
bald sie einen Eken blauen Himmel sahen,
frech und unverschämt wurden, und Leuthen,
bey denen sie nur vor ein paar Wochen gebet-
telt, jezt die unverschämtesten Antworten ga-
ben.

So ließ die Hürnerbeth der Hügin, die ge-
wiß wenn je eine im Dorf eine gute Frau ist,
da sie ihr bey einem starken Reger sagen ließ,
sie soll doch zu ihr kommen, und ihr helfen das
Wasser das ihr gegen den Keller laufe ablei-

Am meiſten aber machte das: die Reichen
waren bis jezt gewohnt die Armen als eine
Art Knechte anzuſehen, die wie dazu gebohren
ſeyen ihnen um den halben Lohn, den ſie an-
derſtwo haben koͤnnten, alle Arten Dienſte zu
thun, und es machte z. E. einer ſolchen diken
Frauen gar nichts, ihre arme Gevatterin einen
ganzen Nachmittag bey ihr arbeiten zu machen,
und ſie denn am Abend vor dem Nachteſſen
mit einem Stuͤk Brod, und etwann einer ab-
genommenen Milch heimzuſchiken.

Aber es iſt vorbey, — Gevatterin hin,
und Gevatterin her: die Armen wollen das nicht
mehr ſo verſtehen, und kommen ihnen nicht
mehr, auſſer ſie geben ihnen ſo viel Lohn als
ſie daheim oder anderſtwo in der gleichen Zeit
verdienen konnten.

Darinn haben ſie auch ganz recht.

Aber darinn haben ſie unrecht, daß ſie, ſo
bald ſie einen Eken blauen Himmel ſahen,
frech und unverſchaͤmt wurden, und Leuthen,
bey denen ſie nur vor ein paar Wochen gebet-
telt, jezt die unverſchaͤmteſten Antworten ga-
ben.

So ließ die Huͤrnerbeth der Huͤgin, die ge-
wiß wenn je eine im Dorf eine gute Frau iſt,
da ſie ihr bey einem ſtarken Reger ſagen ließ,
ſie ſoll doch zu ihr kommen, und ihr helfen das
Waſſer das ihr gegen den Keller laufe ablei-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0352" n="330"/>
        <p>Am mei&#x017F;ten aber machte das: die Reichen<lb/>
waren bis jezt gewohnt die Armen als eine<lb/>
Art Knechte anzu&#x017F;ehen, die wie dazu gebohren<lb/>
&#x017F;eyen ihnen um den halben Lohn, den &#x017F;ie an-<lb/>
der&#x017F;two haben ko&#x0364;nnten, alle Arten Dien&#x017F;te zu<lb/>
thun, und es machte z. E. einer &#x017F;olchen diken<lb/>
Frauen gar nichts, ihre arme Gevatterin einen<lb/>
ganzen Nachmittag bey ihr arbeiten zu machen,<lb/>
und &#x017F;ie denn am Abend vor dem Nachte&#x017F;&#x017F;en<lb/>
mit einem Stu&#x0364;k Brod, und etwann einer ab-<lb/>
genommenen Milch heimzu&#x017F;chiken.</p><lb/>
        <p>Aber es i&#x017F;t vorbey, &#x2014; Gevatterin hin,<lb/>
und Gevatterin her: die Armen wollen das nicht<lb/>
mehr &#x017F;o ver&#x017F;tehen, und kommen ihnen nicht<lb/>
mehr, au&#x017F;&#x017F;er &#x017F;ie geben ihnen &#x017F;o viel Lohn als<lb/>
&#x017F;ie daheim oder ander&#x017F;two in der gleichen Zeit<lb/>
verdienen konnten.</p><lb/>
        <p>Darinn haben &#x017F;ie auch ganz recht.</p><lb/>
        <p>Aber darinn haben &#x017F;ie unrecht, daß &#x017F;ie, &#x017F;o<lb/>
bald &#x017F;ie einen Eken blauen Himmel &#x017F;ahen,<lb/>
frech und unver&#x017F;cha&#x0364;mt wurden, und Leuthen,<lb/>
bey denen &#x017F;ie nur vor ein paar Wochen gebet-<lb/>
telt, jezt die unver&#x017F;cha&#x0364;mte&#x017F;ten Antworten ga-<lb/>
ben.</p><lb/>
        <p>So ließ die Hu&#x0364;rnerbeth der Hu&#x0364;gin, die ge-<lb/>
wiß wenn je eine im Dorf eine gute Frau i&#x017F;t,<lb/>
da &#x017F;ie ihr bey einem &#x017F;tarken Reger &#x017F;agen ließ,<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;oll doch zu ihr kommen, und ihr helfen das<lb/>
Wa&#x017F;&#x017F;er das ihr gegen den Keller laufe ablei-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[330/0352] Am meiſten aber machte das: die Reichen waren bis jezt gewohnt die Armen als eine Art Knechte anzuſehen, die wie dazu gebohren ſeyen ihnen um den halben Lohn, den ſie an- derſtwo haben koͤnnten, alle Arten Dienſte zu thun, und es machte z. E. einer ſolchen diken Frauen gar nichts, ihre arme Gevatterin einen ganzen Nachmittag bey ihr arbeiten zu machen, und ſie denn am Abend vor dem Nachteſſen mit einem Stuͤk Brod, und etwann einer ab- genommenen Milch heimzuſchiken. Aber es iſt vorbey, — Gevatterin hin, und Gevatterin her: die Armen wollen das nicht mehr ſo verſtehen, und kommen ihnen nicht mehr, auſſer ſie geben ihnen ſo viel Lohn als ſie daheim oder anderſtwo in der gleichen Zeit verdienen konnten. Darinn haben ſie auch ganz recht. Aber darinn haben ſie unrecht, daß ſie, ſo bald ſie einen Eken blauen Himmel ſahen, frech und unverſchaͤmt wurden, und Leuthen, bey denen ſie nur vor ein paar Wochen gebet- telt, jezt die unverſchaͤmteſten Antworten ga- ben. So ließ die Huͤrnerbeth der Huͤgin, die ge- wiß wenn je eine im Dorf eine gute Frau iſt, da ſie ihr bey einem ſtarken Reger ſagen ließ, ſie ſoll doch zu ihr kommen, und ihr helfen das Waſſer das ihr gegen den Keller laufe ablei-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard03_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard03_1785/352
Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1785, S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard03_1785/352>, abgerufen am 24.11.2024.