Tage einige Löffel Milch, da sie vorher bey Wochen gar nichts gegessen hatte. Sie ward auch noch überall anderst, nahm an allem, was vorfiel, Antheil; und was ihr gutes begegnete, und die Liebe ihres Manns und ihrer Kinder machten ihr auch wieder Freude, und die Hoff- nung, wenn sie im Grab seye, werde ihre Haushaltung glüklicher seyn, und ihre Kinder vernünftiger handeln lehrnen, als sie in der Welt nicht gehandelt, brachte auf ihrem Tod- bett eine Ruhe und Heiterkeit in ihr Herz, die sie in ihrem Leben nie hatte, und die ihrem ge- beugten Mann und ihren Kindern oft Freuden- thränen auspreßten. Auch wars zu Thränen bringend, wie die guten Leuthe dem Pfarrer oft dankten, daß er diese Frau vor ihrem Tod noch zu einem so guten Muth gebracht.
Er hatte diese Freude so wenig, und es that ihm so weh, wenn er nach aller Arbeit nichts ausrichtete, und nach langen vergebenen Hoff- nungen sehen mußte, daß mit einem Menschen gar nichts zu machen.
Er war würklich darüber zu schwach. Man muß es auch können, den Menschen verlohren geben, wenn er verlohren ist. -- Man muß ihn ja auch todt lassen, wenn er todt ist; -- und es ist umsonst daß man seinen Leib aus dem Grab ruft. -- Aber es ist nicht minder umsonst, daß man seinen getödeten innwendi-
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Tage einige Loͤffel Milch, da ſie vorher bey Wochen gar nichts gegeſſen hatte. Sie ward auch noch uͤberall anderſt, nahm an allem, was vorfiel, Antheil; und was ihr gutes begegnete, und die Liebe ihres Manns und ihrer Kinder machten ihr auch wieder Freude, und die Hoff- nung, wenn ſie im Grab ſeye, werde ihre Haushaltung gluͤklicher ſeyn, und ihre Kinder vernuͤnftiger handeln lehrnen, als ſie in der Welt nicht gehandelt, brachte auf ihrem Tod- bett eine Ruhe und Heiterkeit in ihr Herz, die ſie in ihrem Leben nie hatte, und die ihrem ge- beugten Mann und ihren Kindern oft Freuden- thraͤnen auspreßten. Auch wars zu Thraͤnen bringend, wie die guten Leuthe dem Pfarrer oft dankten, daß er dieſe Frau vor ihrem Tod noch zu einem ſo guten Muth gebracht.
Er hatte dieſe Freude ſo wenig, und es that ihm ſo weh, wenn er nach aller Arbeit nichts ausrichtete, und nach langen vergebenen Hoff- nungen ſehen mußte, daß mit einem Menſchen gar nichts zu machen.
Er war wuͤrklich daruͤber zu ſchwach. Man muß es auch koͤnnen, den Menſchen verlohren geben, wenn er verlohren iſt. — Man muß ihn ja auch todt laſſen, wenn er todt iſt; — und es iſt umſonſt daß man ſeinen Leib aus dem Grab ruft. — Aber es iſt nicht minder umſonſt, daß man ſeinen getoͤdeten innwendi-
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[353/0375]
Tage einige Loͤffel Milch, da ſie vorher bey
Wochen gar nichts gegeſſen hatte. Sie ward
auch noch uͤberall anderſt, nahm an allem, was
vorfiel, Antheil; und was ihr gutes begegnete,
und die Liebe ihres Manns und ihrer Kinder
machten ihr auch wieder Freude, und die Hoff-
nung, wenn ſie im Grab ſeye, werde ihre
Haushaltung gluͤklicher ſeyn, und ihre Kinder
vernuͤnftiger handeln lehrnen, als ſie in der
Welt nicht gehandelt, brachte auf ihrem Tod-
bett eine Ruhe und Heiterkeit in ihr Herz, die
ſie in ihrem Leben nie hatte, und die ihrem ge-
beugten Mann und ihren Kindern oft Freuden-
thraͤnen auspreßten. Auch wars zu Thraͤnen
bringend, wie die guten Leuthe dem Pfarrer
oft dankten, daß er dieſe Frau vor ihrem Tod
noch zu einem ſo guten Muth gebracht.
Er hatte dieſe Freude ſo wenig, und es that
ihm ſo weh, wenn er nach aller Arbeit nichts
ausrichtete, und nach langen vergebenen Hoff-
nungen ſehen mußte, daß mit einem Menſchen
gar nichts zu machen.
Er war wuͤrklich daruͤber zu ſchwach. Man
muß es auch koͤnnen, den Menſchen verlohren
geben, wenn er verlohren iſt. — Man muß
ihn ja auch todt laſſen, wenn er todt iſt; —
und es iſt umſonſt daß man ſeinen Leib aus
dem Grab ruft. — Aber es iſt nicht minder
umſonſt, daß man ſeinen getoͤdeten innwendi-
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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1785, S. 353. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard03_1785/375>, abgerufen am 24.11.2024.
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