Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1785.

Bild:
<< vorherige Seite

gen wieder zum Leben ruft; weh thut es freylich,
und alle gute Menschen haben dieses Leiden.

Auch der Lienert hatte seinen Theil davon.
Er that seinen Taglöhnern von dem ersten Tag,
da sie bey ihm schaften, was er konnte, sie zu
gewinnen, und hatte eine Geduld und eine Nach-
sicht mit ihnen, und eine Sorgfalt für sie,
daß man hätte glauben sollen, wenn sie auch
wilde Thier gewesen wären, sie hätten ihm
müssen anhängig werden. Aber sie sind nicht
wilde Thier -- sie sind verderbte Menschen.
Es wirkte just das Gegentheil von dem, was
er suchte, auf sie. Und es geht nicht anderst,
wenn ein Mensch zu gut ist, und mehr gut ist,
als er sollte, so giebt er Schurken gegen sich
das Messer in die Hand, und der schlechteste
Kerl kan ihm blizschnell also über den Kopf
wachsen, daß er, sobald er ihm einmahl etwas
abschlagen, und zu etwas nein sagen muß,
denn die größten Unverschämtheiten gegen ihn
wagt, und so gar Rache an ihm ausübt, bloß
weil er sich nicht von dem verwöhnten Purschen
aufs äusserste treiben lassen will.

Der arme Lienert kam just in diesen Fall.
Die Hauptlumpen von seinen Taglöhnern hat-
ten kaum vernommen, der Junker gebe den
Torfgräbern zwey mal in der Woche einen
Abendtrunk; so murmelten sie unter einander,
es gehöre ihnen auch, und es sey niemand schuld

gen wieder zum Leben ruft; weh thut es freylich,
und alle gute Menſchen haben dieſes Leiden.

Auch der Lienert hatte ſeinen Theil davon.
Er that ſeinen Tagloͤhnern von dem erſten Tag,
da ſie bey ihm ſchaften, was er konnte, ſie zu
gewinnen, und hatte eine Geduld und eine Nach-
ſicht mit ihnen, und eine Sorgfalt fuͤr ſie,
daß man haͤtte glauben ſollen, wenn ſie auch
wilde Thier geweſen waͤren, ſie haͤtten ihm
muͤſſen anhaͤngig werden. Aber ſie ſind nicht
wilde Thier — ſie ſind verderbte Menſchen.
Es wirkte juſt das Gegentheil von dem, was
er ſuchte, auf ſie. Und es geht nicht anderſt,
wenn ein Menſch zu gut iſt, und mehr gut iſt,
als er ſollte, ſo giebt er Schurken gegen ſich
das Meſſer in die Hand, und der ſchlechteſte
Kerl kan ihm blizſchnell alſo uͤber den Kopf
wachſen, daß er, ſobald er ihm einmahl etwas
abſchlagen, und zu etwas nein ſagen muß,
denn die groͤßten Unverſchaͤmtheiten gegen ihn
wagt, und ſo gar Rache an ihm ausuͤbt, bloß
weil er ſich nicht von dem verwoͤhnten Purſchen
aufs aͤuſſerſte treiben laſſen will.

Der arme Lienert kam juſt in dieſen Fall.
Die Hauptlumpen von ſeinen Tagloͤhnern hat-
ten kaum vernommen, der Junker gebe den
Torfgraͤbern zwey mal in der Woche einen
Abendtrunk; ſo murmelten ſie unter einander,
es gehoͤre ihnen auch, und es ſey niemand ſchuld

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0376" n="354"/>
gen wieder zum Leben ruft; weh thut es freylich,<lb/>
und alle gute Men&#x017F;chen haben die&#x017F;es Leiden.</p><lb/>
        <p>Auch der Lienert hatte &#x017F;einen Theil davon.<lb/>
Er that &#x017F;einen Taglo&#x0364;hnern von dem er&#x017F;ten Tag,<lb/>
da &#x017F;ie bey ihm &#x017F;chaften, was er konnte, &#x017F;ie zu<lb/>
gewinnen, und hatte eine Geduld und eine Nach-<lb/>
&#x017F;icht mit ihnen, und eine Sorgfalt fu&#x0364;r &#x017F;ie,<lb/>
daß man ha&#x0364;tte glauben &#x017F;ollen, wenn &#x017F;ie auch<lb/>
wilde Thier gewe&#x017F;en wa&#x0364;ren, &#x017F;ie ha&#x0364;tten ihm<lb/>
mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en anha&#x0364;ngig werden. Aber &#x017F;ie &#x017F;ind nicht<lb/>
wilde Thier &#x2014; &#x017F;ie &#x017F;ind verderbte Men&#x017F;chen.<lb/>
Es wirkte ju&#x017F;t das Gegentheil von dem, was<lb/>
er &#x017F;uchte, auf &#x017F;ie. Und es geht nicht ander&#x017F;t,<lb/>
wenn ein Men&#x017F;ch zu gut i&#x017F;t, und mehr gut i&#x017F;t,<lb/>
als er &#x017F;ollte, &#x017F;o giebt er Schurken gegen &#x017F;ich<lb/>
das Me&#x017F;&#x017F;er in die Hand, und der &#x017F;chlechte&#x017F;te<lb/>
Kerl kan ihm bliz&#x017F;chnell al&#x017F;o u&#x0364;ber den Kopf<lb/>
wach&#x017F;en, daß er, &#x017F;obald er ihm einmahl etwas<lb/>
ab&#x017F;chlagen, und zu etwas nein &#x017F;agen muß,<lb/>
denn die gro&#x0364;ßten Unver&#x017F;cha&#x0364;mtheiten gegen ihn<lb/>
wagt, und &#x017F;o gar Rache an ihm ausu&#x0364;bt, bloß<lb/>
weil er &#x017F;ich nicht von dem verwo&#x0364;hnten Pur&#x017F;chen<lb/>
aufs a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;er&#x017F;te treiben la&#x017F;&#x017F;en will.</p><lb/>
        <p>Der arme Lienert kam ju&#x017F;t in die&#x017F;en Fall.<lb/>
Die Hauptlumpen von &#x017F;einen Taglo&#x0364;hnern hat-<lb/>
ten kaum vernommen, der Junker gebe den<lb/>
Torfgra&#x0364;bern zwey mal in der Woche einen<lb/>
Abendtrunk; &#x017F;o murmelten &#x017F;ie unter einander,<lb/>
es geho&#x0364;re ihnen auch, und es &#x017F;ey niemand &#x017F;chuld<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[354/0376] gen wieder zum Leben ruft; weh thut es freylich, und alle gute Menſchen haben dieſes Leiden. Auch der Lienert hatte ſeinen Theil davon. Er that ſeinen Tagloͤhnern von dem erſten Tag, da ſie bey ihm ſchaften, was er konnte, ſie zu gewinnen, und hatte eine Geduld und eine Nach- ſicht mit ihnen, und eine Sorgfalt fuͤr ſie, daß man haͤtte glauben ſollen, wenn ſie auch wilde Thier geweſen waͤren, ſie haͤtten ihm muͤſſen anhaͤngig werden. Aber ſie ſind nicht wilde Thier — ſie ſind verderbte Menſchen. Es wirkte juſt das Gegentheil von dem, was er ſuchte, auf ſie. Und es geht nicht anderſt, wenn ein Menſch zu gut iſt, und mehr gut iſt, als er ſollte, ſo giebt er Schurken gegen ſich das Meſſer in die Hand, und der ſchlechteſte Kerl kan ihm blizſchnell alſo uͤber den Kopf wachſen, daß er, ſobald er ihm einmahl etwas abſchlagen, und zu etwas nein ſagen muß, denn die groͤßten Unverſchaͤmtheiten gegen ihn wagt, und ſo gar Rache an ihm ausuͤbt, bloß weil er ſich nicht von dem verwoͤhnten Purſchen aufs aͤuſſerſte treiben laſſen will. Der arme Lienert kam juſt in dieſen Fall. Die Hauptlumpen von ſeinen Tagloͤhnern hat- ten kaum vernommen, der Junker gebe den Torfgraͤbern zwey mal in der Woche einen Abendtrunk; ſo murmelten ſie unter einander, es gehoͤre ihnen auch, und es ſey niemand ſchuld

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard03_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard03_1785/376
Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1785, S. 354. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard03_1785/376>, abgerufen am 24.11.2024.