se keinen Tag vorbey, daß sie nicht den Spin- nerweibern in ihrer Nachbarschaft, bey ihrem Eifer für die neue Ordnung mit Rath und That an die Hand gieng. Sie war von jeher wohl- thätig, aber jeh da sie sah, daß der Arbeits- lust, und die Anführung zur Ordnung und zum sparen den armen Leuthen in einer Woche mehr aufhilft als man ihnen mit keinen Allmosen bey Jahren aufhelfen kann, so änderte sie zur Stund hierüber ihre Art, und schlug auch der besten Gevatermeisterin einen Mundvoll Brod ab, wenn sie nicht mit ihr auf den Grund ge- hen, und ihr lauter und klar zeigen wollte, wie sie stehe? Was ihre Haushaltung der Woche durch verdiene? wie sie das abtheile? und wa- rum sie nicht damit auskomme?
Ihre erste Antwort, wenn ihr jemand eine Noth klagte, war jezt, ich muß mit dir heim, und in deiner Stube sehen, wo es dir eigentlich fehle, und wie dir zu helfen?
Das behagte freylich vielen Leuthen, die ihr bis dahin ins blinde hinein bettelten, nicht. -- Andere liessen sich helfen; an diesen that sie was eine Mutter; aber auch hatte sie erst, seitdem sie ihre Art hierinn geändert, Freud an ihren Allmosen.
Bis jezt that sie dieselbe als eine Art Schul- digkeit, so ohngefehr wie rechte Leuthe Zoll und Zehnden abstatten, gern und willig, aber ihr
ſe keinen Tag vorbey, daß ſie nicht den Spin- nerweibern in ihrer Nachbarſchaft, bey ihrem Eifer fuͤr die neue Ordnung mit Rath und That an die Hand gieng. Sie war von jeher wohl- thaͤtig, aber jeh da ſie ſah, daß der Arbeits- luſt, und die Anfuͤhrung zur Ordnung und zum ſparen den armen Leuthen in einer Woche mehr aufhilft als man ihnen mit keinen Allmoſen bey Jahren aufhelfen kann, ſo aͤnderte ſie zur Stund hieruͤber ihre Art, und ſchlug auch der beſten Gevatermeiſterin einen Mundvoll Brod ab, wenn ſie nicht mit ihr auf den Grund ge- hen, und ihr lauter und klar zeigen wollte, wie ſie ſtehe? Was ihre Haushaltung der Woche durch verdiene? wie ſie das abtheile? und wa- rum ſie nicht damit auskomme?
Ihre erſte Antwort, wenn ihr jemand eine Noth klagte, war jezt, ich muß mit dir heim, und in deiner Stube ſehen, wo es dir eigentlich fehle, und wie dir zu helfen?
Das behagte freylich vielen Leuthen, die ihr bis dahin ins blinde hinein bettelten, nicht. — Andere lieſſen ſich helfen; an dieſen that ſie was eine Mutter; aber auch hatte ſie erſt, ſeitdem ſie ihre Art hierinn geaͤndert, Freud an ihren Allmoſen.
Bis jezt that ſie dieſelbe als eine Art Schul- digkeit, ſo ohngefehr wie rechte Leuthe Zoll und Zehnden abſtatten, gern und willig, aber ihr
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ſe keinen Tag vorbey, daß ſie nicht den Spin-
nerweibern in ihrer Nachbarſchaft, bey ihrem
Eifer fuͤr die neue Ordnung mit Rath und That
an die Hand gieng. Sie war von jeher wohl-
thaͤtig, aber jeh da ſie ſah, daß der Arbeits-
luſt, und die Anfuͤhrung zur Ordnung und zum
ſparen den armen Leuthen in einer Woche mehr
aufhilft als man ihnen mit keinen Allmoſen
bey Jahren aufhelfen kann, ſo aͤnderte ſie zur
Stund hieruͤber ihre Art, und ſchlug auch der
beſten Gevatermeiſterin einen Mundvoll Brod
ab, wenn ſie nicht mit ihr auf den Grund ge-
hen, und ihr lauter und klar zeigen wollte, wie
ſie ſtehe? Was ihre Haushaltung der Woche
durch verdiene? wie ſie das abtheile? und wa-
rum ſie nicht damit auskomme?
Ihre erſte Antwort, wenn ihr jemand eine
Noth klagte, war jezt, ich muß mit dir heim,
und in deiner Stube ſehen, wo es dir eigentlich
fehle, und wie dir zu helfen?
Das behagte freylich vielen Leuthen, die ihr
bis dahin ins blinde hinein bettelten, nicht. —
Andere lieſſen ſich helfen; an dieſen that ſie was
eine Mutter; aber auch hatte ſie erſt, ſeitdem
ſie ihre Art hierinn geaͤndert, Freud an ihren
Allmoſen.
Bis jezt that ſie dieſelbe als eine Art Schul-
digkeit, ſo ohngefehr wie rechte Leuthe Zoll und
Zehnden abſtatten, gern und willig, aber ihr
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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1785, S. 365. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard03_1785/387>, abgerufen am 24.11.2024.
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