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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1787.

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mußte dem Herzog in dieser Lage behagen; es ahn-
dete ihm nicht, daß dieses alles die Frucht seiner
Gottesvergessenheit und seiner Menschenverhöhnung
seyn konnte: er meynte vielmehr, seine Grundsätze,
so roh sie tönen, seyen nicht bös gemeynt, und
bloße Folgen trauriger aber wahrer Erfahrun-
gen. -- So gut war der Herr; er war über fünf-
zig, und irrte sich noch so! --

Der andere nuzte den Irrthum; er hatte die
unnachahmliche Kunst, Sachen, die er wie in den
Tag hinein zu reden schien, den Menschen tief in
die Seele hineinzubringen. Wenn man glaubte,
er pfeife den Vögeln ein Lied vor, oder er sehe zum
Fenster hinaus auf die Bruck, so warf er, eh man
sichs versah, ein Wort weg, mit dem er ihrer Zehen
den Kopf umdrehete, die kaum sahen, daß er da
war. Seine Meynungen waren kurz und bestimmt,
es war immer viel Wahrheit darinn, sie schmei-
chelten dem Fürsten, und er schien dem Volk nicht
unrecht thun zu wollen, indem er es wirklich that.
Man meynte, er kehre ihm den Rücken nur da-
rum, weil es nicht möglich sey, ihm die Hände zu
bieten; seine Entschlossenheit mahlte das Leben
leicht, er lenkte Mühseligkeit ab, zerschnitt den
Faden, wo er ihn nicht auflösen konnte, und
machte kein Geheimniß aus dem Glaubensbekennt-
niß, das tausend Schwächere seines gleichen ver-

mußte dem Herzog in dieſer Lage behagen; es ahn-
dete ihm nicht, daß dieſes alles die Frucht ſeiner
Gottesvergeſſenheit und ſeiner Menſchenverhoͤhnung
ſeyn konnte: er meynte vielmehr, ſeine Grundſaͤtze,
ſo roh ſie toͤnen, ſeyen nicht boͤs gemeynt, und
bloße Folgen trauriger aber wahrer Erfahrun-
gen. — So gut war der Herr; er war uͤber fuͤnf-
zig, und irrte ſich noch ſo! —

Der andere nuzte den Irrthum; er hatte die
unnachahmliche Kunſt, Sachen, die er wie in den
Tag hinein zu reden ſchien, den Menſchen tief in
die Seele hineinzubringen. Wenn man glaubte,
er pfeife den Voͤgeln ein Lied vor, oder er ſehe zum
Fenſter hinaus auf die Bruck, ſo warf er, eh man
ſichs verſah, ein Wort weg, mit dem er ihrer Zehen
den Kopf umdrehete, die kaum ſahen, daß er da
war. Seine Meynungen waren kurz und beſtimmt,
es war immer viel Wahrheit darinn, ſie ſchmei-
chelten dem Fuͤrſten, und er ſchien dem Volk nicht
unrecht thun zu wollen, indem er es wirklich that.
Man meynte, er kehre ihm den Ruͤcken nur da-
rum, weil es nicht moͤglich ſey, ihm die Haͤnde zu
bieten; ſeine Entſchloſſenheit mahlte das Leben
leicht, er lenkte Muͤhſeligkeit ab, zerſchnitt den
Faden, wo er ihn nicht aufloͤſen konnte, und
machte kein Geheimniß aus dem Glaubensbekennt-
niß, das tauſend Schwaͤchere ſeines gleichen ver-

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[158/0176] mußte dem Herzog in dieſer Lage behagen; es ahn- dete ihm nicht, daß dieſes alles die Frucht ſeiner Gottesvergeſſenheit und ſeiner Menſchenverhoͤhnung ſeyn konnte: er meynte vielmehr, ſeine Grundſaͤtze, ſo roh ſie toͤnen, ſeyen nicht boͤs gemeynt, und bloße Folgen trauriger aber wahrer Erfahrun- gen. — So gut war der Herr; er war uͤber fuͤnf- zig, und irrte ſich noch ſo! — Der andere nuzte den Irrthum; er hatte die unnachahmliche Kunſt, Sachen, die er wie in den Tag hinein zu reden ſchien, den Menſchen tief in die Seele hineinzubringen. Wenn man glaubte, er pfeife den Voͤgeln ein Lied vor, oder er ſehe zum Fenſter hinaus auf die Bruck, ſo warf er, eh man ſichs verſah, ein Wort weg, mit dem er ihrer Zehen den Kopf umdrehete, die kaum ſahen, daß er da war. Seine Meynungen waren kurz und beſtimmt, es war immer viel Wahrheit darinn, ſie ſchmei- chelten dem Fuͤrſten, und er ſchien dem Volk nicht unrecht thun zu wollen, indem er es wirklich that. Man meynte, er kehre ihm den Ruͤcken nur da- rum, weil es nicht moͤglich ſey, ihm die Haͤnde zu bieten; ſeine Entſchloſſenheit mahlte das Leben leicht, er lenkte Muͤhſeligkeit ab, zerſchnitt den Faden, wo er ihn nicht aufloͤſen konnte, und machte kein Geheimniß aus dem Glaubensbekennt- niß, das tauſend Schwaͤchere ſeines gleichen ver-

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Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1787, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard04_1787/176>, abgerufen am 21.11.2024.