Sie erzählten die sonderbarsten Umstände von den Dieben, und wie leicht Unordnung, und Druck und Mangel, etwas rechtes gelernt zu haben, zum Stehlen bringe, und wie oft die kleinsten Umstände darüber den Ausschlag geben. -- Unter anderm das Wort eines Gehenkten, der unter der Leiter zu sei- nem Vater sagte: "Wenn du mich gemacht hättest mein Wamms zu Nacht ordentlich an den Nagel auf- zuhenken, so würde man mich izt nicht aufhenken -- Und eines andern -- der durch ein unvorsichtiges Wort in einen Prozeß verflochten, und hinten nach auch zum Stehlen gekommen, gesagt hat: -- " Es macht mir nichts zu sterben, wenn izt nur auch jemand die henkte, die mir Haus und Habe ge- stohlen, aber es henkt sie Niemand, sie sitzen beym Blutgerichte" -- und es war so. --
Die Bauern machten einen Unterschied zwi- schen dem gesezmäßigen und dem galgenmäßigen Stehlen; und behaupteten, wo das erste leicht sey, und man in gesezlicher Form und Ordnung die Leute um das Ihrige bringen könne, sey dem andern nicht zu steuern, und es gehe gewöhnlich so, daß
sie denkt, weiter zu bringen, als er ohne un- sere Hilfe nicht kommen konnte. Das suche ich Leser! und also fürchte dich nicht, wenn ich meine Bauern in alleweg, und auch von der Obrigkeit reden lasse, wie sie denken. etc.
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Sie erzaͤhlten die ſonderbarſten Umſtaͤnde von den Dieben, und wie leicht Unordnung, und Druck und Mangel, etwas rechtes gelernt zu haben, zum Stehlen bringe, und wie oft die kleinſten Umſtaͤnde daruͤber den Ausſchlag geben. — Unter anderm das Wort eines Gehenkten, der unter der Leiter zu ſei- nem Vater ſagte: „Wenn du mich gemacht haͤtteſt mein Wamms zu Nacht ordentlich an den Nagel auf- zuhenken, ſo wuͤrde man mich izt nicht aufhenken — Und eines andern — der durch ein unvorſichtiges Wort in einen Prozeß verflochten, und hinten nach auch zum Stehlen gekommen, geſagt hat: — „ Es macht mir nichts zu ſterben, wenn izt nur auch jemand die henkte, die mir Haus und Habe ge- ſtohlen, aber es henkt ſie Niemand, ſie ſitzen beym Blutgerichte„ — und es war ſo. —
Die Bauern machten einen Unterſchied zwi- ſchen dem geſezmaͤßigen und dem galgenmaͤßigen Stehlen; und behaupteten, wo das erſte leicht ſey, und man in geſezlicher Form und Ordnung die Leute um das Ihrige bringen koͤnne, ſey dem andern nicht zu ſteuern, und es gehe gewoͤhnlich ſo, daß
ſie denkt, weiter zu bringen, als er ohne un- ſere Hilfe nicht kommen konnte. Das ſuche ich Leſer! und alſo fuͤrchte dich nicht, wenn ich meine Bauern in alleweg, und auch von der Obrigkeit reden laſſe, wie ſie denken. ꝛc.
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Sie erzaͤhlten die ſonderbarſten Umſtaͤnde von
den Dieben, und wie leicht Unordnung, und Druck
und Mangel, etwas rechtes gelernt zu haben, zum
Stehlen bringe, und wie oft die kleinſten Umſtaͤnde
daruͤber den Ausſchlag geben. — Unter anderm das
Wort eines Gehenkten, der unter der Leiter zu ſei-
nem Vater ſagte: „Wenn du mich gemacht haͤtteſt
mein Wamms zu Nacht ordentlich an den Nagel auf-
zuhenken, ſo wuͤrde man mich izt nicht aufhenken —
Und eines andern — der durch ein unvorſichtiges
Wort in einen Prozeß verflochten, und hinten nach
auch zum Stehlen gekommen, geſagt hat: — „ Es
macht mir nichts zu ſterben, wenn izt nur auch
jemand die henkte, die mir Haus und Habe ge-
ſtohlen, aber es henkt ſie Niemand, ſie ſitzen beym
Blutgerichte„ — und es war ſo. —
Die Bauern machten einen Unterſchied zwi-
ſchen dem geſezmaͤßigen und dem galgenmaͤßigen
Stehlen; und behaupteten, wo das erſte leicht ſey,
und man in geſezlicher Form und Ordnung die Leute
um das Ihrige bringen koͤnne, ſey dem andern
nicht zu ſteuern, und es gehe gewoͤhnlich ſo, daß
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*) ſie denkt, weiter zu bringen, als er ohne un-
ſere Hilfe nicht kommen konnte. Das ſuche ich
Leſer! und alſo fuͤrchte dich nicht, wenn ich
meine Bauern in alleweg, und auch von der
Obrigkeit reden laſſe, wie ſie denken. ꝛc.
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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1787, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard04_1787/201>, abgerufen am 21.11.2024.
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