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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1787.

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der wöchentlichen und öffentlichen Verkehr mit den
Leuten im Dorf hatte, irgend eine Anfoderung an
jemand über 14 Tage in seinem Buch haben, ohne
mit dem Schuldner zu Boden zu rechnen, und sich
die Richtigkeit der Anfoderung von ihm unterschrei-
ben zu lassen.

Er kannte den Blutsauger-Kunstgriff, mit klei-
nen Anfoderungen zu warten, und die Rechnun-
gen mit armen Leuten hängen zu lassen, der in den
Dörfern so gemein ist. -- Der Schuldner wartet
aus Mismuth und Scham gern, so lang er das
Geld nicht hat, und der andere aus Schelmerey,
um sich der Fahrläßigkeit, Unordnung, falsche
Scham und Muthlosigkeit des Schuldners zu nutz
zu machen, mit doppelter Kreide mit ihm zu rech-
nen; dieses Landübel, das in allen Gegenden, wo
das Volk unordentlich und unwirthschaftlich ist,
fast keine Gränzen hat, führt freylich in Zehenma-
len, wo dem Armen Unrecht geschiehet, ihn kaum
einmal in Streit und Prozeß; aber es sezt ihn da-
vor Neunmal in die Lage, daß er sich den Hals
zuschnüren lassen muß, ohne einen Laut geben zu
dörfen, womit freylich dann aller Streit und Pro-
zeß ein Ende hat.

Aber Arner wollte auch die lezte Spur einer
solchen Donnersbuben-Gewalt *) die unter seinem



*) Anmerkung. Verzeihe Leser! solche Na-

der woͤchentlichen und oͤffentlichen Verkehr mit den
Leuten im Dorf hatte, irgend eine Anfoderung an
jemand uͤber 14 Tage in ſeinem Buch haben, ohne
mit dem Schuldner zu Boden zu rechnen, und ſich
die Richtigkeit der Anfoderung von ihm unterſchrei-
ben zu laſſen.

Er kannte den Blutſauger-Kunſtgriff, mit klei-
nen Anfoderungen zu warten, und die Rechnun-
gen mit armen Leuten haͤngen zu laſſen, der in den
Doͤrfern ſo gemein iſt. — Der Schuldner wartet
aus Mismuth und Scham gern, ſo lang er das
Geld nicht hat, und der andere aus Schelmerey,
um ſich der Fahrlaͤßigkeit, Unordnung, falſche
Scham und Muthloſigkeit des Schuldners zu nutz
zu machen, mit doppelter Kreide mit ihm zu rech-
nen; dieſes Landuͤbel, das in allen Gegenden, wo
das Volk unordentlich und unwirthſchaftlich iſt,
faſt keine Graͤnzen hat, fuͤhrt freylich in Zehenma-
len, wo dem Armen Unrecht geſchiehet, ihn kaum
einmal in Streit und Prozeß; aber es ſezt ihn da-
vor Neunmal in die Lage, daß er ſich den Hals
zuſchnuͤren laſſen muß, ohne einen Laut geben zu
doͤrfen, womit freylich dann aller Streit und Pro-
zeß ein Ende hat.

Aber Arner wollte auch die lezte Spur einer
ſolchen Donnersbuben-Gewalt *) die unter ſeinem



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[278/0296] der woͤchentlichen und oͤffentlichen Verkehr mit den Leuten im Dorf hatte, irgend eine Anfoderung an jemand uͤber 14 Tage in ſeinem Buch haben, ohne mit dem Schuldner zu Boden zu rechnen, und ſich die Richtigkeit der Anfoderung von ihm unterſchrei- ben zu laſſen. Er kannte den Blutſauger-Kunſtgriff, mit klei- nen Anfoderungen zu warten, und die Rechnun- gen mit armen Leuten haͤngen zu laſſen, der in den Doͤrfern ſo gemein iſt. — Der Schuldner wartet aus Mismuth und Scham gern, ſo lang er das Geld nicht hat, und der andere aus Schelmerey, um ſich der Fahrlaͤßigkeit, Unordnung, falſche Scham und Muthloſigkeit des Schuldners zu nutz zu machen, mit doppelter Kreide mit ihm zu rech- nen; dieſes Landuͤbel, das in allen Gegenden, wo das Volk unordentlich und unwirthſchaftlich iſt, faſt keine Graͤnzen hat, fuͤhrt freylich in Zehenma- len, wo dem Armen Unrecht geſchiehet, ihn kaum einmal in Streit und Prozeß; aber es ſezt ihn da- vor Neunmal in die Lage, daß er ſich den Hals zuſchnuͤren laſſen muß, ohne einen Laut geben zu doͤrfen, womit freylich dann aller Streit und Pro- zeß ein Ende hat. Aber Arner wollte auch die lezte Spur einer ſolchen Donnersbuben-Gewalt *) die unter ſeinem *) Anmerkung. Verzeihe Leſer! ſolche Na-

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Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1787, S. 278. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard04_1787/296>, abgerufen am 21.11.2024.