Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1787.

Bild:
<< vorherige Seite

Bauersfrau den Detail ihres Hauses besorgen
muß, wenn sie nicht Schande davon haben will.

Es ist eine Schande, man läßt alles Unkraut
wachsen, bis es erstarket; dann wühlet man mit
der öffentlichen Gerechtigkeit unter dem verheerten
Volk wie die wilde Säu im Korn, und meynt
noch, mit dieser Schnörren-Arbeit die höchste Weis-
heit der bürgerlichen Gesezgebung erreicht zu ha-
ben. Man läßt es an allem, was zur Erzielung
einer wahren bürgerlichen Ordnung in der Tiefe
des Volks nothwendig wäre, ermangeln, und
wundert sich dann, warum man mit keinen Galeen
und Zuchthäusern so wenig als mit dem alten Gal-
gen dahin komme, wohin, so lang die Welt steht,
keine Obrigkeit ohne gute und allgemeine Einrich-
tungen für die Bildung des Volks niemals gekom-
men ist, und niemals kommen wird. *)



*) Anmerkung. -- Wer verzeiht es dem
Menschen nicht, wenn er im Gefühl der Ver-
wahrlosung seines Geschlechts die Sprache der
Verzweiflung redt? -- sagte ich, da die Sti-
ckelbergerin und der Pfarrer diese Sprache re-
deten, als sie für das Leben Arners keine Hof-
nung mehr hatten; und izt -- muß ich dich
fragen, Leser! willt du mir es nicht verzeihen,
wenn ich die öffentliche Gerechtigkeit, die es
an allem, was zur Erzielung einer wahren
bürgerlichen Bildung in der Tiefe des Volks

Bauersfrau den Detail ihres Hauſes beſorgen
muß, wenn ſie nicht Schande davon haben will.

Es iſt eine Schande, man laͤßt alles Unkraut
wachſen, bis es erſtarket; dann wuͤhlet man mit
der oͤffentlichen Gerechtigkeit unter dem verheerten
Volk wie die wilde Saͤu im Korn, und meynt
noch, mit dieſer Schnoͤrren-Arbeit die hoͤchſte Weis-
heit der buͤrgerlichen Geſezgebung erreicht zu ha-
ben. Man laͤßt es an allem, was zur Erzielung
einer wahren buͤrgerlichen Ordnung in der Tiefe
des Volks nothwendig waͤre, ermangeln, und
wundert ſich dann, warum man mit keinen Galeen
und Zuchthaͤuſern ſo wenig als mit dem alten Gal-
gen dahin komme, wohin, ſo lang die Welt ſteht,
keine Obrigkeit ohne gute und allgemeine Einrich-
tungen fuͤr die Bildung des Volks niemals gekom-
men iſt, und niemals kommen wird. *)



*) Anmerkung. — Wer verzeiht es dem
Menſchen nicht, wenn er im Gefuͤhl der Ver-
wahrloſung ſeines Geſchlechts die Sprache der
Verzweiflung redt? — ſagte ich, da die Sti-
ckelbergerin und der Pfarrer dieſe Sprache re-
deten, als ſie fuͤr das Leben Arners keine Hof-
nung mehr hatten; und izt — muß ich dich
fragen, Leſer! willt du mir es nicht verzeihen,
wenn ich die oͤffentliche Gerechtigkeit, die es
an allem, was zur Erzielung einer wahren
buͤrgerlichen Bildung in der Tiefe des Volks
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0324" n="306"/>
Bauersfrau den Detail ihres Hau&#x017F;es be&#x017F;orgen<lb/>
muß, wenn &#x017F;ie nicht Schande davon haben will.</p><lb/>
        <p>Es i&#x017F;t eine Schande, man la&#x0364;ßt alles Unkraut<lb/>
wach&#x017F;en, bis es er&#x017F;tarket; dann wu&#x0364;hlet man mit<lb/>
der o&#x0364;ffentlichen Gerechtigkeit unter dem verheerten<lb/>
Volk wie die wilde Sa&#x0364;u im Korn, und meynt<lb/>
noch, mit die&#x017F;er Schno&#x0364;rren-Arbeit die ho&#x0364;ch&#x017F;te Weis-<lb/>
heit der bu&#x0364;rgerlichen Ge&#x017F;ezgebung erreicht zu ha-<lb/>
ben. Man la&#x0364;ßt es an allem, was zur Erzielung<lb/>
einer wahren bu&#x0364;rgerlichen Ordnung in der Tiefe<lb/>
des Volks nothwendig wa&#x0364;re, ermangeln, und<lb/>
wundert &#x017F;ich dann, warum man mit keinen Galeen<lb/>
und Zuchtha&#x0364;u&#x017F;ern &#x017F;o wenig als mit dem alten Gal-<lb/>
gen dahin komme, wohin, &#x017F;o lang die Welt &#x017F;teht,<lb/>
keine Obrigkeit ohne gute und allgemeine Einrich-<lb/>
tungen fu&#x0364;r die Bildung des Volks niemals gekom-<lb/>
men i&#x017F;t, und niemals kommen wird. <note xml:id="seg2pn_4_1" next="#seg2pn_4_2" place="foot" n="*)"><hi rendition="#g">Anmerkung</hi>. &#x2014; Wer verzeiht es dem<lb/>
Men&#x017F;chen nicht, wenn er im Gefu&#x0364;hl der Ver-<lb/>
wahrlo&#x017F;ung &#x017F;eines Ge&#x017F;chlechts die Sprache der<lb/>
Verzweiflung redt? &#x2014; &#x017F;agte ich, da die Sti-<lb/>
ckelbergerin und der Pfarrer die&#x017F;e Sprache re-<lb/>
deten, als &#x017F;ie fu&#x0364;r das Leben Arners keine Hof-<lb/>
nung mehr hatten; und izt &#x2014; muß ich dich<lb/>
fragen, Le&#x017F;er! willt du mir es nicht verzeihen,<lb/>
wenn ich die o&#x0364;ffentliche Gerechtigkeit, die es<lb/>
an allem, was zur Erzielung einer wahren<lb/>
bu&#x0364;rgerlichen Bildung in der Tiefe des Volks</note></p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[306/0324] Bauersfrau den Detail ihres Hauſes beſorgen muß, wenn ſie nicht Schande davon haben will. Es iſt eine Schande, man laͤßt alles Unkraut wachſen, bis es erſtarket; dann wuͤhlet man mit der oͤffentlichen Gerechtigkeit unter dem verheerten Volk wie die wilde Saͤu im Korn, und meynt noch, mit dieſer Schnoͤrren-Arbeit die hoͤchſte Weis- heit der buͤrgerlichen Geſezgebung erreicht zu ha- ben. Man laͤßt es an allem, was zur Erzielung einer wahren buͤrgerlichen Ordnung in der Tiefe des Volks nothwendig waͤre, ermangeln, und wundert ſich dann, warum man mit keinen Galeen und Zuchthaͤuſern ſo wenig als mit dem alten Gal- gen dahin komme, wohin, ſo lang die Welt ſteht, keine Obrigkeit ohne gute und allgemeine Einrich- tungen fuͤr die Bildung des Volks niemals gekom- men iſt, und niemals kommen wird. *) *) Anmerkung. — Wer verzeiht es dem Menſchen nicht, wenn er im Gefuͤhl der Ver- wahrloſung ſeines Geſchlechts die Sprache der Verzweiflung redt? — ſagte ich, da die Sti- ckelbergerin und der Pfarrer dieſe Sprache re- deten, als ſie fuͤr das Leben Arners keine Hof- nung mehr hatten; und izt — muß ich dich fragen, Leſer! willt du mir es nicht verzeihen, wenn ich die oͤffentliche Gerechtigkeit, die es an allem, was zur Erzielung einer wahren buͤrgerlichen Bildung in der Tiefe des Volks

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard04_1787
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard04_1787/324
Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1787, S. 306. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard04_1787/324>, abgerufen am 21.11.2024.