Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1787.

Bild:
<< vorherige Seite

ten richtig die Tage seit der Hochzeit, und es dorf-
ten nicht gar viele, ich weiß nicht recht wie viel,
fehlen, so kamen sie nicht: auch die alten Rechte
der Kränzchen wurden wieder erneuert.

Hingegen bestimmte er dem unehlichen Bey-
schlaf keine Strafe. -- Er war Volksschande --
Wer ist klug, und will mehr aus ihm machen? Ar-
ner wollte es nicht, aber er hemmte auch den Aus-
druck des Volkgefühls über seine Schande nicht.
Die Knaben des Dorfs durften einer Schandtoch-
ter vier Wochen nach der Kindbett einen Zigeuner-
Tanz tanzen; sie bauten ihr vor dem Haus eine
Heidenhütte von Tannästen, und Stroh darinn
und Mies zu einem Lager wohl für ihrer drey oder
vier; wenn sie hinein wollten, spielten sie mit ihrer
Zigeunertrommel dreymal nach einander um die
Hütte herum einen Heidentanz, und die unordent-
liche Kindsmutter mußte diese Hütte sechs Wochen
drey Tage vor ihrer Thür dulden, sonst durften
die Knaben ihr eine neue bauen, und wieder trom-
meln und tanzen; aber das war nicht so fast sie zu
strafen, als vielmehr die andern zu warnen, daß
keine eine Mutter werde -- wie eine Närrin --
oder wie eine Heidentochter.

Glaubet mir, es ist keine Buß an Geld oder
Leib, die das wirkt, was dieser Tanz. -- Der
liebste Bub, der bey einer Bonnalerin zu muth-

ten richtig die Tage ſeit der Hochzeit, und es dorf-
ten nicht gar viele, ich weiß nicht recht wie viel,
fehlen, ſo kamen ſie nicht: auch die alten Rechte
der Kraͤnzchen wurden wieder erneuert.

Hingegen beſtimmte er dem unehlichen Bey-
ſchlaf keine Strafe. — Er war Volksſchande —
Wer iſt klug, und will mehr aus ihm machen? Ar-
ner wollte es nicht, aber er hemmte auch den Aus-
druck des Volkgefuͤhls uͤber ſeine Schande nicht.
Die Knaben des Dorfs durften einer Schandtoch-
ter vier Wochen nach der Kindbett einen Zigeuner-
Tanz tanzen; ſie bauten ihr vor dem Haus eine
Heidenhuͤtte von Tannaͤſten, und Stroh darinn
und Mies zu einem Lager wohl fuͤr ihrer drey oder
vier; wenn ſie hinein wollten, ſpielten ſie mit ihrer
Zigeunertrommel dreymal nach einander um die
Huͤtte herum einen Heidentanz, und die unordent-
liche Kindsmutter mußte dieſe Huͤtte ſechs Wochen
drey Tage vor ihrer Thuͤr dulden, ſonſt durften
die Knaben ihr eine neue bauen, und wieder trom-
meln und tanzen; aber das war nicht ſo faſt ſie zu
ſtrafen, als vielmehr die andern zu warnen, daß
keine eine Mutter werde — wie eine Naͤrrin —
oder wie eine Heidentochter.

Glaubet mir, es iſt keine Buß an Geld oder
Leib, die das wirkt, was dieſer Tanz. — Der
liebſte Bub, der bey einer Bonnalerin zu muth-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0335" n="317"/>
ten richtig die Tage &#x017F;eit der Hochzeit, und es dorf-<lb/>
ten nicht gar viele, ich weiß nicht recht wie viel,<lb/>
fehlen, &#x017F;o kamen &#x017F;ie nicht: auch die alten Rechte<lb/>
der Kra&#x0364;nzchen wurden wieder erneuert.</p><lb/>
        <p>Hingegen be&#x017F;timmte er dem unehlichen Bey-<lb/>
&#x017F;chlaf keine Strafe. &#x2014; Er war Volks&#x017F;chande &#x2014;<lb/>
Wer i&#x017F;t klug, und will mehr aus ihm machen? Ar-<lb/>
ner wollte es nicht, aber er hemmte auch den Aus-<lb/>
druck des Volkgefu&#x0364;hls u&#x0364;ber &#x017F;eine Schande nicht.<lb/>
Die Knaben des Dorfs durften einer Schandtoch-<lb/>
ter vier Wochen nach der Kindbett einen Zigeuner-<lb/>
Tanz tanzen; &#x017F;ie bauten ihr vor dem Haus eine<lb/>
Heidenhu&#x0364;tte von Tanna&#x0364;&#x017F;ten, und Stroh darinn<lb/>
und Mies zu einem Lager wohl fu&#x0364;r ihrer drey oder<lb/>
vier; wenn &#x017F;ie hinein wollten, &#x017F;pielten &#x017F;ie mit ihrer<lb/>
Zigeunertrommel dreymal nach einander um die<lb/>
Hu&#x0364;tte herum einen Heidentanz, und die unordent-<lb/>
liche Kindsmutter mußte die&#x017F;e Hu&#x0364;tte &#x017F;echs Wochen<lb/>
drey Tage vor ihrer Thu&#x0364;r dulden, &#x017F;on&#x017F;t durften<lb/>
die Knaben ihr eine neue bauen, und wieder trom-<lb/>
meln und tanzen; aber das war nicht &#x017F;o fa&#x017F;t &#x017F;ie zu<lb/>
&#x017F;trafen, als vielmehr die andern zu warnen, daß<lb/>
keine eine Mutter werde &#x2014; wie eine Na&#x0364;rrin &#x2014;<lb/>
oder wie eine Heidentochter.</p><lb/>
        <p>Glaubet mir, es i&#x017F;t keine Buß an Geld oder<lb/>
Leib, die das wirkt, was die&#x017F;er Tanz. &#x2014; Der<lb/>
lieb&#x017F;te Bub, der bey einer Bonnalerin zu muth-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[317/0335] ten richtig die Tage ſeit der Hochzeit, und es dorf- ten nicht gar viele, ich weiß nicht recht wie viel, fehlen, ſo kamen ſie nicht: auch die alten Rechte der Kraͤnzchen wurden wieder erneuert. Hingegen beſtimmte er dem unehlichen Bey- ſchlaf keine Strafe. — Er war Volksſchande — Wer iſt klug, und will mehr aus ihm machen? Ar- ner wollte es nicht, aber er hemmte auch den Aus- druck des Volkgefuͤhls uͤber ſeine Schande nicht. Die Knaben des Dorfs durften einer Schandtoch- ter vier Wochen nach der Kindbett einen Zigeuner- Tanz tanzen; ſie bauten ihr vor dem Haus eine Heidenhuͤtte von Tannaͤſten, und Stroh darinn und Mies zu einem Lager wohl fuͤr ihrer drey oder vier; wenn ſie hinein wollten, ſpielten ſie mit ihrer Zigeunertrommel dreymal nach einander um die Huͤtte herum einen Heidentanz, und die unordent- liche Kindsmutter mußte dieſe Huͤtte ſechs Wochen drey Tage vor ihrer Thuͤr dulden, ſonſt durften die Knaben ihr eine neue bauen, und wieder trom- meln und tanzen; aber das war nicht ſo faſt ſie zu ſtrafen, als vielmehr die andern zu warnen, daß keine eine Mutter werde — wie eine Naͤrrin — oder wie eine Heidentochter. Glaubet mir, es iſt keine Buß an Geld oder Leib, die das wirkt, was dieſer Tanz. — Der liebſte Bub, der bey einer Bonnalerin zu muth-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard04_1787
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard04_1787/335
Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1787, S. 317. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard04_1787/335>, abgerufen am 21.11.2024.