Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1787.

Bild:
<< vorherige Seite

kalt und was warm ist. -- Darum hat aber auch
der, so die sieben Leuchter hat, den Engel seiner
großen Gemeinde aus seinem Munde ausgespeyt,
und ihn hingeworfen zu zertreten, für jedermann,
der vorbey geht -- was soll mir also sein Aerger? --

Der Aberglaube findet in den Umständen der
Zeit unermeßliche Nahrung. -- Die Seelenstim-
mung der Menschen wird täglich mehr schwankend
und träumend. -- Das Fundament eines vernünf-
tigen Gottesdiensts -- die Vernunft des Volks --
und eine feste, ruhige, biedere, gleichmüthige und
bedächtliche Geistes-Richtung, schwindet vor un-
sern Augen. --

Seys Zufall oder Hinderlist -- ich weiß es
nicht, und untersuche es nicht -- aber wahr ists --
die Seelenstimmung der Menschheit neigt sich zu
der Schwäche des Aberglaubens.

Der Misbrauch der Bibel und der Glaubens-
lehre, zu dem, wozu beydes nicht taugt, wird
lebhafter als er je war.

Die Hinlenkung der Volksstimmung zu Be-
günstigung eines überwiegenden Einflusses der Kräf-
ten der Einbildung gegen die Kräfte des Verstan-
des --

-- Die allgemeine Reizung des poetischen
Sinns, und auf diesen poetischen Sinn gebaute

kalt und was warm iſt. — Darum hat aber auch
der, ſo die ſieben Leuchter hat, den Engel ſeiner
großen Gemeinde aus ſeinem Munde ausgeſpeyt,
und ihn hingeworfen zu zertreten, fuͤr jedermann,
der vorbey geht — was ſoll mir alſo ſein Aerger? —

Der Aberglaube findet in den Umſtaͤnden der
Zeit unermeßliche Nahrung. — Die Seelenſtim-
mung der Menſchen wird taͤglich mehr ſchwankend
und traͤumend. — Das Fundament eines vernuͤnf-
tigen Gottesdienſts — die Vernunft des Volks —
und eine feſte, ruhige, biedere, gleichmuͤthige und
bedaͤchtliche Geiſtes-Richtung, ſchwindet vor un-
ſern Augen. —

Seys Zufall oder Hinderliſt — ich weiß es
nicht, und unterſuche es nicht — aber wahr iſts —
die Seelenſtimmung der Menſchheit neigt ſich zu
der Schwaͤche des Aberglaubens.

Der Misbrauch der Bibel und der Glaubens-
lehre, zu dem, wozu beydes nicht taugt, wird
lebhafter als er je war.

Die Hinlenkung der Volksſtimmung zu Be-
guͤnſtigung eines uͤberwiegenden Einfluſſes der Kraͤf-
ten der Einbildung gegen die Kraͤfte des Verſtan-
des —

— Die allgemeine Reizung des poetiſchen
Sinns, und auf dieſen poetiſchen Sinn gebaute

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0356" n="338"/>
kalt und was warm i&#x017F;t. &#x2014; Darum hat aber auch<lb/>
der, &#x017F;o die &#x017F;ieben Leuchter hat, den Engel &#x017F;einer<lb/>
großen Gemeinde aus &#x017F;einem Munde ausge&#x017F;peyt,<lb/>
und ihn hingeworfen zu zertreten, fu&#x0364;r jedermann,<lb/>
der vorbey geht &#x2014; was &#x017F;oll mir al&#x017F;o &#x017F;ein Aerger? &#x2014;</p><lb/>
        <p>Der Aberglaube findet in den Um&#x017F;ta&#x0364;nden der<lb/>
Zeit unermeßliche Nahrung. &#x2014; Die Seelen&#x017F;tim-<lb/>
mung der Men&#x017F;chen wird ta&#x0364;glich mehr &#x017F;chwankend<lb/>
und tra&#x0364;umend. &#x2014; Das Fundament eines vernu&#x0364;nf-<lb/>
tigen Gottesdien&#x017F;ts &#x2014; die Vernunft des Volks &#x2014;<lb/>
und eine fe&#x017F;te, ruhige, biedere, gleichmu&#x0364;thige und<lb/>
beda&#x0364;chtliche Gei&#x017F;tes-Richtung, &#x017F;chwindet vor un-<lb/>
&#x017F;ern Augen. &#x2014;</p><lb/>
        <p>Seys Zufall oder Hinderli&#x017F;t &#x2014; ich weiß es<lb/>
nicht, und unter&#x017F;uche es nicht &#x2014; aber wahr i&#x017F;ts &#x2014;<lb/>
die Seelen&#x017F;timmung der Men&#x017F;chheit neigt &#x017F;ich zu<lb/>
der Schwa&#x0364;che des Aberglaubens.</p><lb/>
        <p>Der Misbrauch der Bibel und der Glaubens-<lb/>
lehre, zu dem, wozu beydes nicht taugt, wird<lb/>
lebhafter als er je war.</p><lb/>
        <p>Die Hinlenkung der Volks&#x017F;timmung zu Be-<lb/>
gu&#x0364;n&#x017F;tigung eines u&#x0364;berwiegenden Einflu&#x017F;&#x017F;es der Kra&#x0364;f-<lb/>
ten der Einbildung gegen die Kra&#x0364;fte des Ver&#x017F;tan-<lb/>
des &#x2014;</p><lb/>
        <p>&#x2014; Die allgemeine Reizung des poeti&#x017F;chen<lb/>
Sinns, und auf die&#x017F;en poeti&#x017F;chen Sinn gebaute<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[338/0356] kalt und was warm iſt. — Darum hat aber auch der, ſo die ſieben Leuchter hat, den Engel ſeiner großen Gemeinde aus ſeinem Munde ausgeſpeyt, und ihn hingeworfen zu zertreten, fuͤr jedermann, der vorbey geht — was ſoll mir alſo ſein Aerger? — Der Aberglaube findet in den Umſtaͤnden der Zeit unermeßliche Nahrung. — Die Seelenſtim- mung der Menſchen wird taͤglich mehr ſchwankend und traͤumend. — Das Fundament eines vernuͤnf- tigen Gottesdienſts — die Vernunft des Volks — und eine feſte, ruhige, biedere, gleichmuͤthige und bedaͤchtliche Geiſtes-Richtung, ſchwindet vor un- ſern Augen. — Seys Zufall oder Hinderliſt — ich weiß es nicht, und unterſuche es nicht — aber wahr iſts — die Seelenſtimmung der Menſchheit neigt ſich zu der Schwaͤche des Aberglaubens. Der Misbrauch der Bibel und der Glaubens- lehre, zu dem, wozu beydes nicht taugt, wird lebhafter als er je war. Die Hinlenkung der Volksſtimmung zu Be- guͤnſtigung eines uͤberwiegenden Einfluſſes der Kraͤf- ten der Einbildung gegen die Kraͤfte des Verſtan- des — — Die allgemeine Reizung des poetiſchen Sinns, und auf dieſen poetiſchen Sinn gebaute

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard04_1787
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard04_1787/356
Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1787, S. 338. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard04_1787/356>, abgerufen am 18.06.2024.